Leitsatz

Eine "Anschaffung" bzw. "Veräußerung" i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG liegt vor, wenn die übereinstimmenden rechtsgeschäftlichen Verpflichtungserklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Zehn-Jahres-Frist bindend abgegeben worden sind (Anschluss an BFH-Urteil vom 10.02.2015 – IX R 23/13, BFHE 249, 149, BStBl II 2015, 487).

 

Normenkette

§ 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 144 Abs. 2 Nr. 1 und 3 BauGB

 

Sachverhalt

Die Kläger erwarben mit Angebot vom 20.12.2002 und Annahme vom 7.1.2003 ein Vermietungsobjekt, das sie mit notariellem Vertrag vom 27.12.2012 wieder veräußerten. Die sanierungsrechtliche Genehmigung wurde am 5.2.2013 erteilt. Den Veräußerungsgewinn deklarierten die Kläger nicht. Nach Auffassung des FA betrug der Zeitraum zwischen Anschaffung (7.1.2003) und Veräußerung (27.12.2012) nicht mehr als 10 Jahre. Das FG hat die Klage abgewiesen. Zwar sei der Vertrag zivilrechtlich zunächst nicht bindend gewesen (schwebend unwirksam), die behördliche Genehmigung wirke jedoch auch steuerrechtlich zurück (FG München, Urteil vom 7.11.2019, 10 K 2075/18 Haufe-Index 14033456, EFG 2020, 1614).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision der Kläger zurückgewiesen. Im Ergebnis zu Recht habe das FG ein steuerbares Veräußerungsgeschäft bejaht. Das Objekt sei trotz schwebender Unwirksamkeit des Vertrags für Zwecke des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bereits am 27.12.2012 veräußert worden. Auf die Frage, ob die Genehmigung zurückwirke, komme es nicht an.

 

Hinweis

Der Besprechungsfall klärt eine bislang höchstrichterlich nicht entschiedene Frage zur Berechnung der 10-jährigen Haltefrist für nicht selbst genutzte Immobilien. Erstmals bejaht der BFH den Tatbestand der "Veräußerung" auch bei schwebend unwirksamer Einigung in bestimmten Fällen. Vor allem Notare werden sich die neue Differenzierung genau einprägen müssen, um Fehlberatungen zu vermeiden:

Für die Bestimmung der Haltefrist in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ("Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung") kommt es nach ständiger Rechtsprechung des BFH auf die obligatorischen Rechtsgeschäfte an. "Anschaffung" und "Veräußerung" werden mithin im Normkontext anders verstanden als sonst im EStG.

a) Maßgeblich ist grundsätzlich die übereinstimmende Abgabe der schuldrechtlichen Verpflichtungserklärungen. "Denn mit den beiderseitigen übereinstimmenden Willenserklärungen wird der Vertragsschluss für die Vertragspartner zivilrechtlich bindend."

b) Diese Formel lässt allerdings offen, was gelten soll, wenn ausnahmsweise die übereinstimmenden Willenserklärungen die beiderseitige Verpflichtung nicht bewirken können, z.B. weil das gewollte Geschäft unter einem öffentlich-rechtlichen Genehmigungsvorbehalt steht (hier: sanierungsrechtlicher Genehmigungsvorbehalt). Dieser bewirkt nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 und 3 BauGB die schwebende Unwirksamkeit des schuldrechtlichen wie des dinglichen Rechtsgeschäfts. Ohne die Genehmigung kann das Grundstück nicht übertragen werden. Wird die Genehmigung erteilt, wird das Geschäft zivilrechtlich rückwirkend wirksam; wird die Genehmigung endgültig versagt, bleibt es endgültig unwirksam.

b) Bindungswirkung trotz schwebender Unwirksamkeit: Haben sich die Beteiligten über die Vertragsinhalte beiderseitig in der Weise geeinigt, dass sie sich nicht mehr einseitig vom Vertrag lösen können, bejaht der BFH auch vor Erteilung der behördlichen Genehmigung eine "Bindungswirkung", die bereits ausreichend stark ist, um die Rechtsfolgen eines privaten Veräußerungsgeschäfts eintreten zu lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn sich die Genehmigung nicht auf die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrags oder die Wirksamkeit der Willenserklärungen bezieht, sondern Zwecke verfolgt, die außerhalb des Vertrags liegen und auf die die Vertragsbeteiligten keinen Einfluss haben.

c) Eine nur einseitige Bindung reicht allerdings nicht. Keine Veräußerung ist danach anzunehmen bei

  • einseitigem Angebot,
  • Kauf auf Probe oder
  • Erklärung eines Vertreters ohne Vertretungsmacht.

In diesen Fällen tritt die beiderseitige Bindung erst ein, wenn das Angebot angenommen, der Kaufgegenstand gebilligt oder das Vertreterhandeln genehmigt wird.

d) Nach diesen Maßstäben sind auch die Vertragspartner eines unter sanierungsrechtlichem Genehmigungsvorbehalt stehenden Vertrags schon vor Erteilung der Genehmigung hinreichend gebunden. Sie können sich nicht mehr einseitig vom Vertrag lösen, unterliegen dem gegenseitigen Gebot der Rücksichtnahme und müssen alles unternehmen, um die erforderliche Genehmigung herbeizuführen.

e) Ob sich diese Verpflichtungen zivilrechtlich wirklich aus dem (unwirksamen) Vertrag oder vielmehr als vorvertragliche Pflichten aus der Anbahnung des Vertrags ergeben, wird vom BFH nicht thematisiert. Einer klaren, am Zivilrecht orientierten Abgrenzung, von der wohl die Kläger ausgegangen waren (schwebend unwirksam = unwirksam), hat der BFH eine Absage erteilt. Ob sich die vom BFH gefundene Abgrenzung in der Praxis bewährt, muss sich erst zeigen.

 

Link zur Entscheidung

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