Die Frage, warum maschinelle Forecasts menschlichen überlegen sein können, lässt sich vor allem aus dem Blickwinkel menschlicher Rationalitätsdefizite beantworten. Die Leistungen bzw. vielmehr die Limitationen des menschlichen Gehirns in der Informationsaufnahme und -verarbeitung lassen sich wie folgt zusammenfassen:[1]

  • Menschen können nur jene Informationen verwenden, die sie gelernt haben oder die extern (z. B. auf Papier) rasch verfügbar sind. Das menschliche Gehirn weist dabei Schwächen im Wiederauffinden von Informationen auf.
  • Die menschliche Informationsverarbeitungskapazität ist gering. Es können nur wenige Informationen gleichzeitig verarbeitet werden. Im Kurzzeitgedächtnis können nicht mehr als 5-9 Informations- bzw. Sinneinheiten, sog. "chunks", gleichzeitig verarbeitet werden.[2]
  • Das Gehirn ermüdet rasch und kann nur für begrenzte Zeit kontinuierlich Probleme lösen. Kontinuierliches Denken über einen längeren Zeitraum wird von einer steigenden Fehlerhäufigkeit begleitet.
  • Das Gehirn arbeitet relativ langsam. Die Geschwindigkeit hängt jedoch von der Art und Bekanntheit des Problemtyps ab, wie der Vergleich der blitzartigen menschlichen Mustererkennung ob ein Apfel frisch oder faulig ist mit der Trägheit beim Kopfrechnen zeigt.

Neben den kapazitiven "Könnensdefiziten" gibt es auch verhaltensorientierte Defizite, Menschen begnügen sich mit dem Erreichen ihres individuellen Anspruchsniveaus und streben nicht notwendigerweise das erreichbare Maximum an oder sie entscheiden zum persönlichen Vorteil und nicht zum Vorteil für das Unternehmen. Den kognitiven Limitationen, Verzerrungen und Verhaltensweisen wurde in der Literatur breiter Raum gewidmet. Die lange Liste identifizierter "biases" und vielfältige Klassifikationsschemata zeugen davon.[3] Nachfolgende Beispiele zeigen typisch menschliche Defizite bei der Erstellung von Forecasts:

  • Die Aufnahmebereitschaft für neue Informationen wächst, wenn diese die Intention des Entscheidungsträgers unterstützen. Die selektive Wahrnehmung führt gepaart mit Selbstüberschätzung zu optimistischen Prognosen.
  • Menschen richten Prognosen unbewusst an einem "Anker" bzw. Orientierungspunkt aus. Beim Forecast können dies die Budget- oder Vorjahreswerte sein. Diese Anker können Forecasts in eine falsche Richtung lenken.
  • Machtbedingte Informationsverzerrungen wie der Verlust von Ansehen, führen dazu, dass Prognosen selbst dann noch aufrechterhalten werden, wenn sich bereits das Gegenteil abzeichnet.
  • Da entfernte Probleme weniger bedeutsam erscheinen als unmittelbare (Diskontierungseffekt), werden negative Entwicklungen nicht sofort kommuniziert bzw. im Forecast berücksichtigt.
  • Konformitätsdruck in Teams und die Überschätzung der Meinung von Experten und Vorgesetzten führt dazu, dass wichtige Argumente nicht genügend Aufmerksamkeit erhalten und im Forecast unberücksichtigt bleiben.

Aus den genannten Beispielen wird offensichtlich, dass sich durch den Einsatz maschineller Forecasts die Prognosequalität steigern lässt. Einerseits kann ein größeres Maß an Informationen in den Forecast einfließen, andererseits unterliegen maschinelle Forecasts keinen interessensbedingten Verzerrungen ("emotionsloser Forecast"). Dabei ist jedoch Vorsicht geboten. Ein wesentliches Prinzip künstlicher Intelligenz ist die Fähigkeit zu lernen und sich zu verbessern. Optimierungsalgorithmen sind in Lage, die Treffsicherheit des Modells zu bestimmen und zu lernen, um die zukünftige Treffsicherheit zu erhöhen. Auch wenn KI-Systeme kein Eigeninteresse haben, können menschliche biases durch die dem System zur Verfügung gestellten Daten bzw. die Entscheidungslogik in Algorithmen unbewusst eingelernt werden.

Neben den Limitationen des menschlichen Gehirns sei auch eine seiner wesentlichen Stärken erwähnt. Vom menschlichen Gehirn werden ständig auch nicht gestellte Probleme gelöst. Das Gehirn hat keine statische Struktur, es wird vielmehr ständig reorganisiert. Dadurch werden Probleme spontan neu gesehen. Dies charakterisiert die Kreativität und Innovationsfähigkeit des Menschen und ist ein wesentlicher Unterschied zu Maschinen.

[1] Vgl. Häfner, 1991.
[2] Vgl. Miller, 1967.
[3] Vgl. Weber/Schäffer, 2019, S. 51 ff.

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