Die steuerliche Argumentation vernachlässigt die schleichend schon lange, seit BilMoG auch offiziell gegebene Entkopplung von Handelsbilanz und Steuerbilanz. Beim Ansatz und bei der Bewertung von Rückstellungen, bei der außerplanmäßigen Abschreibung, beim Umfang des Betriebsvermögens etc. hat sich das Steuerrecht bereits in hohem Maße vom Handelsbilanzrecht gelöst. In einigen Bereichen liegen die steuerlichen Regelungen sogar näher an den IFRS als am HGB. Dies gilt etwa für das Verbot, Disagien aus erhaltenen Darlehen sofort aufwandswirksam zu behandeln, oder für die Berücksichtigung zukünftiger Preissteigerungen bei der Bemessung von Rückstellungen.

Relevanter ist das Argument der Gesetzgebungskompetenz. Ein privates Gremium in London soll nicht durch Änderung seiner Bilanzierungsvorschriften die Steuereinnahmen in Berlin beeinflussen können. Dieser Zielsetzung ist aus rechtlichen, fiskalischen und wirtschaftlichen Gründen zuzustimmen. Sie sagt jedoch nichts über das dafür einzusetzende Instrumentarium aus.

Der (Steuer-)Gesetzgeber hat hinreichend Erfahrung, sich auf andere Weise gegen Änderungen der zivilrechtlichen Bilanzierungsgrundlagen zu immunisieren. Beispiele sind etwa das steuerliche Ansatzverbot für Drohverlustrückstellungen oder die steuerrechtlichen Sondervorschriften für Pensionsrückstellungen.

In weiten Bereichen, etwa beim Ansatz von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten, blieb es aber bislang bei der Maßgeblichkeit. Nicht immer allerdings mit guten Wirkungen auf die Handelsbilanz. Niehues spricht von einer "Pervertierung der Maßgeblichkeit", indem mit Blick auf die steuerliche Abzugsfähigkeit so viel wie möglich abgeschrieben und zurückgestellt wird, ohne Rücksicht darauf, ob dies noch eine angemessene Interpretation des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips sei.[1]

Ähnliche Effekte ergeben sich unter der Herrschaft der Einheitsbilanz auch auf anderen Feldern.

 

Beispiel

Die A-GmbH hat vor fünf Jahren einen auf dem schnelllebigen Gebiet des Web-Designs tätigen Betrieb erworben. Der aufgedeckte Firmenwert wurde nach § 7 Abs. 1 EStG über 15 Jahre abgeschrieben. Eine Teilwertabschreibung wegen gesunkenen Ertrags konnte steuerlich nicht durchgesetzt werden, da die zusätzlich zum Ertragsrückgang nötigen Nachweise nicht zu erbringen waren. Der Firmenwert steht aktuell noch mit 2/3 seines Ursprungswerts in den Büchern.

Die A-GmbH stellt eine Einheitsbilanz auf. Der handelsrechtliche Firmenwert entspricht daher dem steuerrechtlichen. Das Handelsrecht verlangt eine planmäßige Abschreibung über die voraussichtliche Nutzungsdauer. In einer schnelllebigen Branche wird diese Nutzungsdauer eher deutlich unter 15 Jahren liegen. Ansonsten wäre jedenfalls eine außerplanmäßige Abschreibung nötig gewesen.

Die A-GmbH hat, geblendet vom Maßgeblichkeitsprinzip, die Unterschiede in den Regeln übersehen und daher eine Einheitsbilanz aufgestellt, die bei näherer Betrachtung tatsächlich eine falsche Handelsbilanz ist.

Neben der "Immunisierungslösung" – Aufgabe der Maßgeblichkeit – sind noch zwei andere, radikalere Ansätze erwägenswert. Der erste diskutiert, ob überhaupt auf lange Sicht an der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG und § 5 EStG) festgehalten werden soll. Aufbauend auf dem von Teilen der Volkswirtschaftslehre vertretenen Konzept der Cashflow-Steuer käme eine modifizierte Einnahmen-Ausgaben-Rechnung infrage, die mit Ausnahmen bei Anlagevermögen, Vorräten und langfristigen Rückstellungen nicht auf die Ertrags-/Aufwandsentstehung abstellen würde, sondern auf die Zahlungszeitpunkte.

Der politisch ebenso brisante zweite Vorschlag hält an der Maßgeblichkeit fest, verlagert sie aber vom deutschen EStG und dem Verhältnis zur deutschen Steuerbilanz auf ein noch zu schaffendes europäisches Unternehmensteuergesetzbuch. Gedacht ist an eine europaweite einheitliche Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer, deren Ausgangspunkt die IFRS wären. Wie jetzt das EStG in § 5 Abs. 1 die (teilweise) Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz festhält, um sie in den Folgeabsätzen und Paragraphen einzuschränken, könnte ein europäisches Unternehmensteuergesetzbuch die Maßgeblichkeit der IFRS-Bilanz europaweit vorschreiben, um diese ebenso europaweit in den Folgeabsätzen und Folgeparagraphen zu limitieren.

Die einheitliche europäische Bemessungsgrundlage könnte mit dem Verbleib der Steuersatzhoheit bei den Mitgliedsländern verbunden werden. Das Resultat entspräche in europäischer Dimension der jetzigen inländischen Situation der Gewerbesteuer: deren Bemessungsgrundlage wird deutschlandweit einheitlich bestimmt, die Entscheidung über den darauf anzuwendenden Hebesatz bzw. Steuersatz treffen jedoch die Kommunen. Eine analoge Regelung auf europäischer Ebene, die die Entscheidungskompetenz über den Steuersatz bei den Mitgliedsländern beließe, würde die Transparenz des Steuerwettbewerbs erhöhen. Diese ist jedoch nicht überall politisch erwünscht. Die EU-Kommission hat daher auf dem Weg zu einer möglichen...

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