Orientierungssatz

1. Der Finanzvorstand einer AG, der in ein von der AG vollständig beherrschtes Tochterunternehmen als Organmitglied abgeordnet worden ist, verletzt seine Pflicht zur ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitung sowohl gegenüber der Tochtergesellschaft als auch gegenüber der entsendenden Aktiengesellschaft, wenn er erhebliche Zahlungen (Darlehenshingaben) an ein ausländisches Anlageunternehmen ohne Stellung vereinbarter Sicherheiten (hier: Sicherung über eine Rückversicherungsgesellschaft) veranlaßt. Im Falle des Zusammenbruchs des ausländischen Unternehmens, das als sogenannte „Briefkastenfirma” nur einen Postsitz im Ausland hatte, haftet der Finanzvorstand für den – bei Mutter- und Tochtergesellschaft – entstandenen Schaden gemäß AktG § 93 Abs 1 und Abs 2.

2. Aufwendungen der Muttergesellschaft zur Schadenbehebung bei dem Beteiligungsunternehmen (Tochtergesellschaft) stellen sich als eigener Vermögensschaden der Muttergesellschaft dar, der von dem Finanzvorstand, der gegenüber der Muttergesellschaft aus AktG § 93 Abs 2 haftet, zu ersetzen ist.

3. Eine Haftung des Schädigers entfällt nicht etwa deshalb, weil das herrschende Unternehmen, ohne hierzu rechtlich verpflichtet gewesen zu sein, den Schadenausgleich bei dem Tochterunternehmen aufgrund wirtschaftlich und unternehmensstrategisch vernünftiger Überlegungen, so unter anderem zur Vermeidung eines Ruf-Schadens, durchgeführt hat.

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Urteil vom 23.11.1994; Aktenzeichen 33 O 204/93)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 23. November 1994 verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlußberufung der Klägerin wird das vorgenannte Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 54.893.863,17 DM nebst den nachfolgend aufgeführten Zinsen zu zahlen: 6,43 % Zinsen aus einem Betrag von 825.000 DM für die Zeit vom 29.10.1990 bis zum 30.10.1990, 6,43 % Zinsen aus einem Betrag von 1.325.000 DM für die Zeit vom 31.10.1990 bis zum 13.11.1990, 6,43 % Zinsen aus einem Betrag von 3.225.000 DM für die Zeit vom 14.11.1990 bis zum 27.12.1990, 6,43 % Zinsen aus einem Betrag von 35.225.000 DM für die Zeit vom 28.12.1990 bis zum 31.12.1990, 5,78 % Zinsen aus einem Betrag von 35.225.000 DM für die Zeit vom 01.01.1991 bis zum 21.01.1991, 5,78 % Zinsen aus einem Betrag von 35.425.000 DM für die Zeit vom 22.01.1991 bis 31.01.1991, 5,78 % Zinsen aus einem Betrag von 35.525.000 DM für die Zeit vom 01.02.1991 bis 11.03.1991, 5,78 % Zinsen aus einem Betrag von 41.225.000 DM für die Zeit vom 12.03.1991 bis 22.03.1991, 5,78 % Zinsen aus einem Betrag von 55.892.363,07 DM für die Zeit vom 23.03.1991 bis zum 31.12.1991, 5,79 % Zinsen aus einem Betrag von 55.892.363,07 DM für die Zeit vom 01.01.1992 bis zum 02.01.1992, 5,79 % Zinsen aus einem Betrag von 55.393.113,07 DM für die Zeit vom 03.01.1992 bis zum 01.04.1992, 5,79 % Zinsen aus einem Betrag von 54.893.863,07 DM für die Zeit vom 02.04.1992 bis 31.12.1992 sowie 4 % Zinsen aus einem Betrag von 54.893.863,07 DM seit dem 01.01.1993.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100 Mio. DM abzuwenden, falls nicht die Klägerin vor Beginn der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Sicherheitsleistungen können auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse erbracht werden.

 

Tatbestand

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin den Beklagten aus eigenem und abgetretenem Recht wegen der angeblichen Verletzung seiner Pflichten als ehemaliges Mitglied des Vorstands der Klägerin auf Schadensersatz in Höhe von knapp 55.000.000 Mio DM in Anspruch.

Die Klägerin betreibt ein im Marktsegment der Rechtsschutzversicherung tätiges Versicherungsunternehmen, das auf diesem Gebiet in der Bundesrepublik Deutschland marktführend ist. Sie ist Teil eines letztlich von zwei Familienstämmen der Familie F. geleiteten Konzerns, zu dem zahlreiche von der Klägerin beherrschte Tochter- und Enkelunternehmen gehören. Gesellschafter der Klägerin sind zwei Holding- Gesellschaften, nämlich die A. GmbH sowie die F. Gesellschaft für Vermögensverwaltung und für Vermittlung mbH, die jeweils zu 50 % an dem in Aktien zerlegten Grundkapital der Klägerin beteiligt sind. Gesellschafter dieser Holding- Gesellschaften sind wiederum jeweils zur Hälfte die Familienstämme des verstorbenen Dr. W. F. sowie des Ende 1995 ebenfalls verstorbenen Dr. H. H. F., wobei die Familienstämme jeweils entweder durch einzelne Angehörige oder die von ihnen jeweils gegründeten Familienvereine repräsentiert werden.

Die Klägerin verfügt über einen fünfköpfigen Vorstand, der von seinem Vorsitzenden Dr. L. F., einem Sohn des vor kurzem verstorb...

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