Entscheidungsstichwort (Thema)

Restwert einer ausschließlich beruflich genutzten Geige

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. § 9 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist auch auf Arbeitsmittel anzuwenden. Entsprechendes gilt für § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG.
  2. Wird eine ausschließlich für berufliche Zwecke genutzte Geige gestohlen bzw. unterschlagen, so führt der dadurch eingetretene Schaden dem Grunde nach zur Berücksichtigung von Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG.
 

Normenkette

EStG § 7 Abs. 1 S. 5, § 9 Abs. 1 Nr. 7

 

Streitjahr(e)

1993

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 09.12.2003; Aktenzeichen VI R 185/97)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin der Restwert einer Geige als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen ist.

Die Klägerin erzielte im Streitjahr 1993 als Orchestermusikerin (1. Geige in einem Rundfunkorchester) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr machte sie unter den Werbungskosten eine Absetzung für außergewöhnliche Abnutzung (AfaA) in Höhe von 243.391 DM geltend, weil der von ihr getrenntlebende Ehemann aus ihrem Arbeitszimmer eine Geige entwendet habe.

Der Beklagte (das Finanzamt – FA –) versagte den Abzug. Der Einspruch blieb im wesentlichen ohne Erfolg. Das FA berücksichtigte lediglich – wie in den Vorjahren – die normalen Absetzungen bis zum Zeitpunkt des Diebstahls (4.711 DM). Dagegen richtet sich die Klage.

Die Klägerin trägt vor, die Geige, eine „Johannes Baptista Guadagnini Violine 1743”, habe sie im November 1988 durch ihren Ehemann in London für 282.645 DM ersteigern lassen. Das Instrument sei vom FA als Arbeitsmittel anerkannt.

Im Streitjahr und zuvor sei es zwischen ihr und dem Ehemann zu einem Zerwürfnis gekommen, das in einem Scheidungsverfahren geendet habe. Zwischen dem…und…Juni 1993 habe ihr Ehemann mitgeteilt, daß er das Instrument an sich gebracht habe, beabsichtige, es zu veräußern und den Erlös für sich zu behalten. Die Geige habe sich in ihrem Arbeitszimmer befunden. Eine Strafanzeige vom…September 1993 sei ebenso erfolglos gewesen wie ein Herausgabeprozeß (Urteil des OLG ...), um das Instrument wiederzuerlangen. Das OLG habe festgestellt, daß sie Alleineigentümerin der Geige gewesen sei. Ihr Ehemann sei nicht auffindbar. Vollstreckungsversuche hätten keinen Erfolg gehabt. Die Versicherung (Instrumentenversicherung durch den Arbeitgeber) habe keine Einstandsverpflichtung, da Schäden, die durch Familienangehörige verursacht worden sind, in den Versicherungsbedingungen ausgeschlossen seien.

Die Klägerin beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 1993 vom…März 1996 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom…Dezember 1996 zu ändern und die Einkommensteuer 1993 auf 0 DM festzusetzen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es bleibt bei seiner im Rechtsbehelfsverfahren vertretenen Auffassung, der Verlust der Geige gehöre nicht zu den Werbungskosten, weil sich das schädigende Ereignis (Diebstahl durch den Ehemann) in der steuerrechtlich unbeachtlichen Privatsphäre abgespielt habe. Die Klägerin ist im Streitjahr noch verheiratet gewesen und nach der Splittingtabelle veranlagt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Das FA hat den Restwert zu Unrecht nicht als Werbungskosten abgezogen.

Der durch den Diebstahl bzw. die Unterschlagung eingetretene Schaden führt dem Grunde nach zur Berücksichtigung von Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der im Zusammenhang mit der Straftat eingetretene Verlust des Instruments stellt eine außergewöhnliche wirtschaftliche Abnutzung i.S.d. §7 Abs. 1 Satz 5 EStG dar. Er ist – entgegen der Auffassung des FA – als beruflich veranlaßt anzusehen, weil die Klägerin die Geige unstreitig ausschließlich als Arbeitsmittel und somit ausschließlich beruflich genutzt hat.

Veränderungen im Vermögensbereich sind – worauf das FA zutreffend hinweist – bei den Überschußeinkunftsarten des § 2 Abs. 3 Nrn. 4 bis 7 EStG zwar grundsätzlich steuerlich unbeachtlich (vgl. Bundesfinanzhof – BFH – Urteil vom 21. Dezember 1982 VIII R 215/78, BFHE 138, 44, BStBl II 1983, 410). Das gilt jedoch nicht für Arbeitsmittel, weil der Gesetzgeber Aufwendungen für ihre Anschaffung nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG ausdrücklich als Werbungskosten bestimmt hat. Die Anschaffung von Arbeitsmitteln fällt somit ebenso in die berufliche Sphäre wie deren nachfolgende ausschließliche oder nahezu ausschließliche berufliche Nutzung.

Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 8. Februar 1974 VI R 326/70, BFHE 111, 341, BStBl II 1974, 306 und die dort erwähnte Rechtsprechung) ist auch auf Arbeitsmittel die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 7 EStG anzuwenden, nach der Absetzung für Abnutzung und für Substanzverringerung als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Für Arbeitsmittel gelte daher ebenfalls § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG, der Absetzungen für außergewöhnliche tec...

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