Der inhaltliche Schwerpunkt der RL 2019/1995 liegt in der Klärung rechtlicher Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Einbezug elektronischer Plattformen (Betreiber elektronischer Marktplätze) in die mehrwertsteuerliche Leistungskette ergeben, sowie in der Schaffung detaillierter Bestimmungen für die Anwendung des stark ausgeweiteten One-Stop-Shops (OSS). Hinsichtlich der Plattformregelung wurde die Zuordnung der bewegten Lieferung in der Lieferkette geregelt sowie eine Steuerbefreiung mit Vorsteuerabzug für die vorangehende fingierte Lieferung des Drittlandunternehmers geschaffen. Nach Art. 14a MwStSystRL i. d. F. der RL 2017/2455 werden Steuerpflichtige, die durch die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle, z. B. eines Marktplatzes, einer Plattform, eines Portals oder Ähnlichem, Fernverkäufe von aus Drittgebieten oder Drittländern eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Einzelwert von nicht mehr als 150 EUR unterstützen oder die Lieferung von Gegenständen innerhalb der Gemeinschaft durch einen nicht in der Gemeinschaft ansässigen Steuerpflichtigen an einen Nichtsteuerpflichtigen unterstützen (Online-Marktplatzbetreiber), so behandelt, als ob sie diese Gegenstände selbst erhalten und geliefert hätten. Da mit Art. 14a MwStSystRL eine einzige Lieferung von Gegenständen in zwei Lieferungen aufgeteilt wird, musste noch festgelegt werden, welcher dieser Lieferungen die Versendung oder Beförderung der Gegenstände zugeschrieben wird, um den Ort der Lieferung ordnungsgemäß zu bestimmen. Außerdem musste sichergestellt werden, dass der Steuertatbestand in Bezug auf diese beiden Lieferungen gleichzeitig eintritt. Demzufolge regelt Art. 36b MwStSystRL für den Fall, dass ein Steuerpflichtiger (Marktplatzbetreiber) gem. Art. 14a MwStSystRL so behandelt wird, als ob er Gegenstände erhalten und geliefert hätte, dass die Versendung oder Beförderung der Gegenstände der Lieferung durch diesen Steuerpflichtigen (den Marktplatzbetreiber) zugeschrieben wird (sog. bewegte Lieferung). Im nationalen Recht istdiese Regelung in § 3 Abs. 6b UStG umgesetzt worden.

 
Praxis-Beispiel

Lieferung eines Drittlandunternehmers über einen elektronischen Marktplatz

Der in China ansässige Unternehmer C liefert über den elektronischen Marktplatz eines Betreibers A Ware, die sich zum Zeitpunkt des Beginns des Transports an den Endkunden E bereits in Deutschland befindet, an den Endkunden E (Privatperson) in Spanien. Nach Art. 36b MwStSystRL wird diese Lieferung so behandelt, als ob C die Ware an A geliefert hat (ruhende Lieferung) und A die Ware weiter an E geliefert hat (bewegte Lieferung).

Art. 66a MwStSystRL in seiner Neufassung regelt in diesem Zusammenhang, dass abweichend von den Art. 63, 64 und 65 MwStSystRL der Steuertatbestand und der Steueranspruch in Bezug auf die Lieferung von Gegenständen durch einen Steuerpflichtigen, der nach Art. 14a MwStSystRL behandelt wird, als ob er diese Gegenstände erhalten und geliefert hätte, sowie in Bezug auf die Lieferung von Gegenständen an diesen Steuerpflichtigen zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Zahlung angenommen wurde. Hier wird also ein Istversteuerungstatbestand (Steuerentstehung mit Vereinnahmung des Entgelts) angenommen. Im nationalen Recht soll diese Regelung in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. i UStG umgesetzt werden.

Da Betreiber von elektronischen Marktplätzen, die durch die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle die Lieferung von Gegenständen an einen Nichtsteuerpflichtigen in der Gemeinschaft unterstützen, nach den geltenden Vorschriften die an nicht in der Gemeinschaft ansässige Zulieferer entrichtete MwSt als Vorsteuer abziehen könnten, besteht das Risiko, dass die Lieferer aus dem Drittland die MwSt auf ihrer Ausgangsseite (die sie dem Marktplatzbetreiber in Rechnung stellen müssten) möglicherweise nicht an den Fiskus abführen. Um dieses Risiko zu vermeiden, soll die Lieferung des Lieferers, der Gegenstände durch die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle (fiktiv an den Marktplatzbetreiber) verkauft, steuerfrei gestellt werden, und der Lieferer soll das Recht auf Abzug der Vorsteuer erhalten, die er für den Kauf oder die Einfuhr der gelieferten Gegenstände entrichtet hat. Für diese Zwecke soll der Lieferer stets in dem Mitgliedstaat registriert sein, in dem er die Gegenstände erworben oder in den er sie eingeführt hat. Zu diesem Zweck regelt Art. 136a MwStSystRL: wird ein Steuerpflichtiger gem. Art. 14a Abs. 2 MwStSystRL behandelt, als ob er Gegenstände erhalten und geliefert hätte (also der Marktplatzbetreiber), befreien die Mitgliedstaaten die Lieferung dieser Gegenstände an diesen Steuerpflichtigen von der Steuer. Entsprechend ist nach der Neufassung von Art. 169 Buchst. b MwStSystRL das Vorsteuerabzugsrecht bezüglich der dort genannten Ausgangsumsätze auf nach Art. 136a MwStSystRL steuerfreie Umsätze ausgedehnt worden. Im nationalen Recht istdie Steuerbefreiung in § 4 Nr. 4c UStG umgesetzt worden.

Hinsichtlich der Registrierung ist Art. 204 Abs. 1 Unterabs. 3 MwStSystRL...

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