Leitsatz

1. Ab dem Entschluss, länger als ein Jahr zu Ausbildungszwecken im außereuropäischen Ausland (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG) zu bleiben, behält das Kind seinen Inlandswohnsitz in der elterlichen Wohnung nur dann bei, wenn es diese im Folgenden regelmäßig mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit nutzt (Bestätigung der Rechtsprechung).

2. Für die Berechnung, ob ein Kind in den ausbildungsfreien Zeiten überwiegend die elterliche Wohnung nutzt, ist im Regelfall auf das Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahr abzustellen. Die Gründe für den Inlandsaufenthalt spielen bei der Ermittlung seiner Dauer keine Rolle.

3. Steht während des laufenden Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahres fest, dass das Kind nicht mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit in der elterlichen Wohnung verbringen wird, spricht dies für eine Aufgabe des inländischen Wohnsitzes bereits zu diesem Zeitpunkt und nicht erst zum Ende des jeweiligen Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahres.

 

Normenkette

§ 63 Abs. 1 Satz 6, § 66 Abs. 2, § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG, § 8 AO

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist die Mutter einer Tochter T, die zunächst bei ihr im Haushalt wohnte. T entschloss sich zu einem Studienaufenthalt in Australien, der auf ein Jahr angelegt war. Gegen Ende des ersten Studienjahres beschloss T, das Auslandsstudium zu verlängern. Im ersten Studienjahr kam T nicht zurück nach Deutschland. Im zweiten verbrachte sie den überwiegenden Teil der vorlesungsfreien Zeit in Deutschland, u.a. auch um eine einwöchige Krankenhausbehandlung durchführen zu lassen. Im dritten Studienjahr war T nur ca. 2 Wochen im Elternhaus und beendete dann das Studium mit einem Examen. Die Familienkasse ging davon aus, dass T mit Beginn ihres Studiums den Inlandswohnsitz aufgegeben habe, und hob die Kindergeldfestsetzung ab dem auf die Ausreise folgenden Monat auf. Das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 7.1.2020, 5 K 168/17, Haufe-Index 14534210) gab der Klage nur hinsichtlich des ersten Studienjahres statt.

 

Entscheidung

Der BFH gab der Revision der Klägerin auch für das zweite und einen Teil des dritten Studienjahres statt. Im ersten Studienjahr sei wegen des zunächst nur auf ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalts keine Heimreise erforderlich gewesen. Im zweiten Studienjahr habe T den überwiegenden Teil der vorlesungsfreien Zeit im Inland verbracht. Dass sie dabei für eine Woche im Krankenhaus gewesen sei, sei unerheblich. Gegen Mitte des dritten Studienjahres habe aber festgestanden, dass sie nicht den überwiegenden Teil der vorlesungsfreien Zeit im Inland verbringen werde, weshalb von einer Wohnsitzaufgabe und einem Wegfall des Kindergeldanspruchs auszugehen sei.

 

Hinweis

1. Kindergeldfestsetzungen erfolgen i.d.R. nicht nur für einen einzelnen Monat, sondern für einen längeren bereits näher bestimmten (z.B. von Januar bis Dezember 2023) oder einen in die Zukunft gerichteten, noch offenen Zeitraum (z.B. ab Januar 2023). Für derartige Dauerverwaltungsakte enthalten die Korrekturvorschriften der AO (insbesondere §§ 172ff. AO) keine ausreichenden Instrumente. Deshalb sieht das EStG in § 70 Abs. 2 und 3 EStG eigene Korrekturvorschriften für Kindergeldbescheide vor, die neben die für Steuerbescheide (§ 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 AO i.V.m. § 31 Satz 3 EStG) geltenden Korrekturvorschriften der AO treten (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO). Besonders große Bedeutung für die Praxis kommt dabei § 70 Abs. 2 EStG zu, der den Fall regelt, dass sich die für die Kindergeldfestsetzung maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nachträglich (also nach Erlass des Kindergeldbescheids) in für die Festsetzung erheblicher Weise geändert haben. Eine solche Änderung kommt vor allem in Bezug auf Anspruchsvoraussetzungen hinsichtlich des Kindergeldberechtigten und Berücksichtigungsvoraussetzungen hinsichtlich des Kindes in Betracht.

2. Zu den Berücksichtigungsvoraussetzungen bezüglich des Kindes gehört das Erfordernis des § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG, wonach das Kind einen Wohnsitz (§ 8 AO) oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland oder einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR haben muss.

3. Kinder teilen zunächst i.d.R. den (inländischen) Wohnsitz ihrer Eltern. Nimmt das Kind innerhalb des EU-/EWR-Bereichs eine Ausbildung auf und bezieht es dazu eine andere Wohnung, wird die Wohnsitzfrage meist nicht virulent, da es für den Anspruch und die Anspruchshöhe ohne Bedeutung ist, ob das Kind seinen Wohnsitz nach wie vor im Elternhaus hat oder an den Ausbildungsort verlagert. Findet die Ausbildung dagegen außerhalb des EU-/EWR-Bereichs statt, kann es zu einer Aufgabe des Inlandswohnsitzes und damit wegen § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG zu einem Wegfall des Kindergeldanspruchs kommen.

4. Die Beibehaltung des Inlandswohnsitzes setzt in letzterem Fall voraus, dass dem Kind im Elternhaus oder seiner bisherigen anderen Wohnung weiterhin zum dauerhaften Wohnen geeignete Räumlichkeiten jederzeit zur Verfügung stehen und erkennbar ist, dass das Kind diese Wohnung nach wie vor auch als sein...

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