Leitsatz

1. Zu den Bezügen des Kindes gehört der Anteil der Kapitalleistung einer Rentenversicherung mit Gewinnbeteiligung (Altvertrag), welcher von der Versicherungsgesellschaft erwirtschaftet wurde. Dagegen handelt es sich bei dem Teil der Auszahlung, der auf angesparten Beiträgen beruht, um Vermögen.

2. Die mangelnde Bestimmung eines Bezuges für Unterhaltszwecke muss sich regelmäßig aus den Umständen objektiv nachvollziehbar ableiten lassen. Allein die Erklärung des Kindergeldberechtigten oder des Kindes, ein Bezug sei nicht für den (gegenwärtigen) Unterhalt bestimmt, führt nicht dazu, dass dieser bei der Ermittlung der Selbstunterhaltsfähigkeit unberücksichtigt bleibt.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, § 62 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin bezog für ihren 1964 geborenen Sohn (W) Kindergeld. Dieser ist seit seiner Geburt behindert (GdB 100, Merkzeichen G und H) und erhielt eine Rente wegen Erwerbsminderung sowie Pflegegeld und Leistungen der Pflegekasse.

Seit Juni 1983 war W Versicherungsnehmer eines Rentenversicherungsvertrags mit Gewinnbeteiligung, dessen Beitragszahlungspflicht zum 1.6.2019 endete. Die Beiträge hatte die Klägerin entrichtet. W erhielt statt monatlicher Renten zum 1.6.2019 eine einmalige Kapitalleistung i.H.v. 77.698,54 EUR.

Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab 1.7.2019 auf.

Das FG gab der Klage statt (FG München, Urteil vom 21.7.2020, 12 K 2928/19, Haufe-Index 14148003).

 

Entscheidung

Die Revision der Familienkasse führte zur Aufhebung des FG-Urteils. Das FG hat im zweiten Rechtsgang festzustellen, in welchem Umfang dem Kind ein Bezug zugeflossen ist, der sich im Streitzeitraum kindergeldschädlich auswirken kann.

 

Hinweis

1. Die Fähigkeit des volljährigen behinderten Kindes zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs seines gesamten existenziellen Lebensbedarfs einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits zu beurteilen. Zu den finanziellen Mitteln gehören seine Einkünfte und Bezüge, die im maßgeblichen Zeitraum zufließen, nicht jedoch sein Vermögen.

Der Begriff der Einkünfte wird durch § 2 Abs. 2 EStG definiert. Bezüge sind alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden, also nicht steuerbare oder für steuerfrei erklärte Einnahmen.

2. Zu den Einnahmen gehören auch laufende oder einmalige Geldzuwendungen von dritter Seite, soweit sie nicht der Kapitalanlage dienen. Vermögensübertragungen von Eltern auf ihre Kinder sind außer Betracht zu lassen; als Bezüge anzusetzen sind allein Zuflüsse "von außen", sofern sie zur Finanzierung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeignet oder bestimmt sind.

Die mangelnde Bestimmung des Zuflusses für Unterhaltszwecke muss sich aus den Umständen objektiv nachvollziehbar ableiten lassen (z.B. Schmerzensgeld­rente oder Sozialversicherungsbeiträge). Eine Erklärung des Kindergeldberechtigten oder des Kindes, der Zufluss sei nicht für den gegenwärtigen Lebensunterhalt bestimmt, ist unerheblich. Eine entsprechende Erklärung von dritter Seite, eine Geldzuwendung sei zur Kapitalanlage bestimmt, kann dagegen ausreichen.

3. Da das Vermögen des behinderten Kindes – abweichend von § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG – nicht zu den für den Selbstunterhalt einzusetzenden finanziellen Mitteln gehört, sind Einkünfte und Bezüge einerseits und Vermögen sowie Vermögensumschichtungen andererseits voneinander abzugrenzen.

Zahlungen auf eine bestehende Forderung beinhalten eine Vermögensumschichtung, soweit durch sie eine Forderung erlischt. Sie werden aber nicht stets als reine Vermögensumschichtung behandelt, denn andernfalls wären auch Lohn- und Rentenzahlungen nicht als Einkünfte und Bezüge anzusetzen.

4. Bei der kapitalisierten Auszahlung einer Rentenversicherung des Kindes ist im Hinblick auf dessen Fähigkeit zum Selbstunterhalt zwischen den angesparten Beträgen und den erwirtschafteten Erträgen zu unterscheiden:

Der erwirtschaftete Ertrag ist zur Deckung des Lebensbedarfs geeignet und bestimmt. Wie er tatsächlich verwendet wird, spielt keine Rolle.

Der Kapital- oder Sparanteil der Versicherungsleistung ist dagegen als Vermögensumschichtung und im Streitfall außerdem noch als Vermögensübertragung des Kindergeldberechtigten auf das Kind außer Betracht zu lassen. Zum Sparanteil gehören auch dem Kind nach den Grundsätzen des abgekürzten Zahlungswegs zugewendete Versicherungsbeiträge. In den Beiträgen enthaltene Abschluss- oder Verwaltungskosten wären abzugsfähig, jedenfalls aber eine Pauschale von 15 EUR pro Monat

Die Rechtsprechung des BSG, das die Auszahlung einer kapitalbildenden Lebensversicherung einheitlich dem Vermögen zuordnet, ist nicht auf das EStG zu übertragen. Unerheblich für die Fähigkeit eines behinderten Kindes zum Selbstunterhalt ist auch, dass Rentenzahlungen aus einem vor dem 1.1.2005 abgeschlossenen begünstigten Versicherungsvertrag mit Kapitalwahlrecht als Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht der Besteuerung unterliegen.

5. Die ...

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