Kommentar

1. Pflegekinder im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG sind Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist und die er in seinem Haushalt aufgenommen hat. Weitere Voraussetzung für das Vorliegen einer Pflegekindschaft ist, daß das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern nicht mehr besteht und der Steuerpflichtige das Kind mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhält .

2. Um einen Abbruch des Obhuts- und Pflegeverhältnisses zwischen noch schulpflichtigen Kindern und ihren leiblichen Eltern anzunehmen, reicht es in der Regel aus, daß die Kinder über zwei Jahre keine ausreichenden Kontakte zu ihren leiblichen Eltern mehr hatten.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 07.09.1995, III R 95/93

Anmerkung:

Die Aufnahme eines Kindes in den eigenen Haushalt führt für die Aufnehmenden nur dann zur Gewährung eines Kinderfreibetrags nach § 32 EStG , wenn sie das Kind wie ein eigenes betreuen, sämtliche wesentlichen Entscheidungen für das Kind treffen und für das Kind zu den maßgebenden Ansprechpartnern – und damit zu Ersatzeltern – geworden sind. Dieses familienähnliche Band muß auf längere Dauer berechnet sein; es muß sich dabei um einen Zeitraum handeln, der die Begründung eines Eltern-Kindverhältnisses erlaubt .

Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nach Auffassung des BFH vor. Der Kläger, der mit einer aus Bosnien stammenden Frau verheiratet ist, hatte im Juni 1992 die (1977 und 1983 geborenen) Kinder des Bruders seiner Ehefrau in seinen Haushalt aufgenommen. Die leiblichen Eltern der Kinder befanden sich damals in Sarajevo, wo sie nach Zerstörung ihrer Familienwohnung jeweils getrennt in Gemeinschaftsunterkünften lebten. Der persönliche Kontakt zu den Kindern war auf kurze Telefonate und Briefe beschränkt. Nach dem Tode des Vaters im Mai 1994 verließ die Mutter Sarajevo und wohnt seither mit den Kindern in Deutschland zusammen.

Bei dieser Sachlage kann zwar der Eindruck entstehen, daß es an einem auf längere Dauer angelegten familienähnlichen Band zwischen dem Kläger und den von ihm aufgenommenen Kindern gefehlt hat (dies war auch die Auffassung der Vorinstanz). Der BFH entschied dagegen, es sei nicht erforderlich , daß das Verhältnis zeitlich unbegrenzt oder etwa bis zur Volljährigkeit der Kinder andauern müsse. Es genüge, wenn mit einer vorzeitigen Beendigung des Zustands nur unter gewissen Voraussetzungen zu rechnen sei oder die Pflegekindschaft mit einer – möglicherweise auch absehbaren – Veränderung der Lebenslage ende. Mit dieser Auffassung von den zeitlichen Voraussetzungen der Pflegekindschaft hat der BFH den Lebensumständen, wie sie insbesondere durch kriegsbedingte Situationen entstehen können, Rechnung getragen.

Auch hinsichtlich der weiteren Voraussetzung für das Vorliegen eines Pflegekindschaftsverhältnisses, daß das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern nicht mehr besteht, läßt der BFH eine die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Auffassung erkennen. Er sieht diese Voraussetzung als erfüllt an, wenn – aus welchen Gründen auch immer – die Obhut und Pflege gegenüber einem Kind von seiten der leiblichen Eltern derart zurücktreten, daß sie im wesentlichen nur noch durch die Pflegeeltern ausgeübt werden (vgl. zu diesem Problembereich auch BFH, Urteil v. 20. 1. 1995, III R 14/94, BStBl 1995 II S. 582).

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