Leitsatz

1. Die tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis (§ 18 Abs. 3 i.V.m. § 34 EStG) setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich und definitiv auf einen anderen überträgt. Hierzu muss der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellen (Anschluss an BFH-Urteile vom 10. Juni 1999, IV R 11/99, BFH/NV 1999, 1594; vom 29. Juni 1994, I R 105/93, BFH/NV 1995, 109; vom 18. Mai 1994, I R 109/93, BFHE 175, 249, BStBl II 1994, 925).

2. Die "definitive" Übertragung des Mandantenstamms lässt sich erst nach einem gewissen Zeitablauf abschließend beurteilen. Sie hängt von den objektiven Umständen des Einzelfalls ab, die das FG als Tatsacheninstanz zu würdigen hat. Neben der Dauer der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit sind insbesondere die räumliche Entfernung einer wieder aufgenommenen Berufstätigkeit zur veräußerten Praxis, die Vergleichbarkeit der Betätigungen, die Art und Struktur der Mandate, eine zwischenzeitliche Tätigkeit des Veräußerers als Arbeitnehmer oder freier Mitarbeiter des Erwerbers sowie die Nutzungsdauer des erworbenen Praxiswerts zu berücksichtigen.

 

Normenkette

§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2, § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger war als Steuerberater in einer Einzelpraxis tätig. Im Jahr 2008 veräußerte er seine Praxiseinrichtung und seinen Mandantenstamm zum Kaufpreis von 700.000 EUR an eine in derselben Ortschaft ansässige Steuerberatungsgesellschaft. Er verpflichtete sich, an der Mandatsüberleitung mitzuwirken und neue Mandate für die Käuferin zu akquirieren. Zudem war er für diese als Steuerberater freiberuflich tätig. Im Jahr 2010 gab der Kläger seine Tätigkeit bei der Käuferin auf und eröffne­te unter Mitnahme eines wesentlichen Teils seiner Mandate eine neue Einzelpraxis als Steuerberater.

Nach einer Außenprüfung kam das FA zu dem Ergebnis, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Steuerberatungskanzlei als nicht begünstigter, laufender Gewinn zu besteuern sei. Einspruch und Klage (FG Köln, Urteil vom 3.12.2014, 13 K 2231/12, Haufe-Index 7679459, EFG 2015, 556) blieben ohne Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Der Kläger wollte bei der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung seiner Steuerberatungspraxis von der Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 EStG profitieren, obgleich er nach einer Unterbrechung von knapp zwei Jahren seine Kanzlei im selben Ort mit den im Wesentlichen gleichen Mandaten wiedereröffnet hat. Dem hat der BFH eine Absage erteilt.

2. Die Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 EStG setzt die "definitive" Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen, insbesondere des Mandantenstamms voraus. Dem steht nicht entgegen, dass der Veräußerer für den Käufer der Praxis als Angestellter tätig wird. Denn der Erwerber ist zivilrechtlich und wirtschaftlich in der Lage, die Beziehungen zu den früheren Mandanten des Veräußerers zu verwerten.

3. Eröffnet der Veräußerer kurz nach der Übertragung des Mandantenstamms im selben Ort ­erneut eine Steuerberatungspraxis, stellt sich jedoch die Frage, ob die Voraussetzungen der Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 EStG noch gegeben sind. Dies hängt nach der BFH-Rechtsprechung von der Dauer der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit, der räumlichen Entfernung der wieder aufgenommenen ­Berufstätigkeit zur veräußerten Praxis, der Vergleichbarkeit der Betätigungen, der Art und Struktur der Mandate sowie der Nutzungsdauer des erworbenen Praxiswerts. Unerheblich ist, ob die Wiedereröffnung der Praxis von vornherein geplant war oder der Entschluss erst nach der Veräußerung der Praxis gefasst wurde.

4. Danach lässt sich die Verwirklichung der Voraussetzungen der Tarifbegünstigung gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. § 34 EStG erst nach einem gewissen Zeitablauf abschließend beurteilen. Im vorliegenden Fall war auch nach Auffassung des BFH eine definitive Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen in Form des Mandantenstammes nicht gegeben. Entscheidend war, dass die Wiedereröffnung der Einzelpraxis nach 22 Monaten in derselben Stadt mit einem Teil der früheren Mitarbeiter die definitive Übertragung des Mandantenstammes "torpedierte", zumal der Kläger seine früheren Mandanten während der Übergangszeit als angestellter Steuerberater der Käuferin betreute. Unter diesem Gesichtspunkt reichte die Zeitspanne zwischen der Veräußerung und Wiedereröffnung der Praxis nicht aus.

5. Eine Korrektur der Steuerfestsetzung war möglich, da die Steuerfestsetzung des Klägers unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO stand.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 21.8.2018 – VIII R 2/15

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