Leitsatz

1. Die allgemeine, nach der Lebenserfahrung gerechtfertigte Vermutung, dass Steuern nicht selten verkürzt und steuerpflichtige Einnahmen nicht erklärt werden, genügt nicht, um Sammelauskunftsersuchen der Steuerfahndung als "hinreichend veranlasst" und nicht als Ausforschung "ins Blaue hinein" erscheinen zu lassen. Hierfür bedarf es vielmehr der Darlegung einer über die bloße allgemeine Lebenserfahrung hinausgehenden, erhöhten Wahrscheinlichkeit, unbekannte Steuerfälle zu entdecken.

2. Sind die durch den Bezug von Bonusaktien der Deutschen Telekom AG erzielten Einkünfte in der von der Bank ihren Kunden übersandten Erträgnisaufstellung nicht erfasst worden, die Kunden aber durch ein Anschreiben klar und unmissverständlich dahin informiert worden, dass diese Einkünfte nach Auffassung der Finanzverwaltung einkommensteuerpflichtig sind, stellt dies keine für eine Steuerhinterziehung besonders anfällige Art der Geschäftsabwicklung dar, die etwa mehr als bei Kapitaleinkünften aus bei Banken gehaltenen Wertpapierdepots sonst dazu herausfordert, solche Einkünfte dem Finanzamt zu verschweigen.

 

Normenkette

§ 93 Abs. 1 S. 1, § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO

 

Sachverhalt

Bankkunden waren Bonusaktien aus dem sog. zweiten und dritten Börsengang der Telekom zugeteilt und in deren Depots aufgenommen worden. Bereits bei der ersten Zuteilung hatte die Bank darauf hingewiesen, dass die Zuteilungen nach Auffassung des BMF der ESt-Pflicht unterlägen. In die Erträgnisaufstellung nahm die Bank die Erträge zwar nicht auf, fügte dieser aber wiederum eine Erläuterung bei, in der erneut darauf hingewiesen wurde, dass die Erträge in der Anlage KAP der ESt-Erklärung anzugeben seien.

Die Steuerfahndungsstelle des FA fordert die Bank auf, Name, Anschrift und Geburtsdatum der Depotinhaber mitzuteilen, denen solche Treueaktien der Telekom zugeteilt worden sind, sowie die Anzahl der jeweils gutgeschriebenen Treueaktien und den Einbuchungstag. Anstoß dazu gab, dass aufgrund der Feststellungen eines baden-württembergischen FA bei der Prüfung zweier dortiger Banken Unregelmäßigkeiten im Erklärungsverhalten der Bankkunden festgestellt worden waren, denen allerdings vorgenannte Hinweise nicht in gleicher Weise erteilt worden waren.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Entscheidung des FG (Sächsisches FG, Urteil vom 24.10.2007, 1 K 1925/06, Haufe-Index 1954577, EFG 2008, 758), welches das Auskunftsersuchen aufgehoben hat, bestätigt.

Das strittige Auskunftsersuchen konnte nur darauf zielen, diejenigen Steuerpflichtigen zu ermitteln, die hinsichtlich der Bonusaktien Steuern hinterzogen haben, wobei in diesem Fall allerdings Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten wäre, das Auskunftsersuchen also nicht etwa an jener Hürde, weil zur Aufdeckung offener Steuerfälle ungeeignet, scheitern würde. Die Ergebnisse der baden-württembergischen Ermittlungen, wo mit der Gefahr zu rechnen war, dass die Bankkunden die Telekom-Erträge versehentlich nicht angegeben haben, waren für den Streitfall unbehelflich und nicht übertragbar: Denn im Streitfall konnte dem FA ein versehentliches Nicht-Erklären der durch den Bezug der Bonusaktien erhaltenen Einkünfte so gut wie ausgeschlossen erscheinen.

Ein hinreichender Anlass, Steuerhinterziehung der Bankkunden zu vermuten und eine Prognoseentscheidung dahin zu treffen, dass diese vorsätzlich ihre ESt verkürzt haben, war indes nicht erkennbar. Anhaltspunkte dafür, dass bei prognostischer Beurteilung gerade bei der Behandlung der Einkünfte in Form des Bezugs von Bonusaktien durch die Kunden der Bank eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Einkünfte vorsätzlich verschwiegen haben, waren vom FG nicht festgestellt und vom FA auch nicht geltend gemacht worden.

 

Hinweis

1. Ein Auskunftsersuchen betrifft auch dann i.S.d. § 93 Abs. 1 S. 1 AO einen "für die Besteuerung erheblichen Sachverhalt", wenn das FA mit vertretbaren rechtlichen Erwägungen von einem steuerlich relevanten Vorgang ausgehen kann; es muss nicht zweifelsfrei sein, dass der Sachverhalt besteuert werden kann oder gar über dessen Besteuerung bereits eine höchstrichterliche Entscheidung vorliegen.

2. Ein hinreichender Anlass für ein (Sammel-)Auskunftsersuchen fehlt, wenn weder konkrete Anhaltspunkte noch allgemeine Erfahrung die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommen lassen (ständige Rechtsprechung). Das erfordert eine Prognoseentscheidung, also eine vorweggenommene Beweiswürdigung: Die Ermittlungsmaßnahmen müssen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen können.

Für einen hinreichenden Anlass genügt aber nicht die allgemeine, in jedwedem Zusammenhang nach der Lebenserfahrung gerechtfertigte Vermutung, dass Steuern nicht selten verkürzt und steuerpflichtige Einnahmen nicht angegeben werden – insbesondere wenn die Entdeckungswahrscheinlichkeit gering ist, wie bei Einkünften aus Kapitalvermögen. Es muss vielmehr eine über die bloße allgemeine Lebenserfahrung hinausgehende, erhöhte Entdeckungswahrscheinlichkeit gege...

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