Leitsatz

Sog. "Milchersatzprodukte" pflanzlichen Ursprungs sind keine Milch oder Milchmischgetränke i.S.d. § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1999, Nr. 4 oder 35 der Anlage (jetzt: Anlage 2) zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 UStG 1999.

 

Normenkette

§ 12 Abs. 2 Nr. 1, Anlage 2 Nrn. 4, 31, 33, 35 UStG 1999, KN Pos. 2202 Unterpos. 9010, KN Pos. 0401, KN Pos. 0402, KN Pos. 0403, KN Pos. 0404, KN Pos. 1901, KN Pos. 2106, Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3, Anhang H Nr. 1 der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Die Klägerin lieferte Milchersatzprodukte (aus Soja, Reis oder Hafer gewonnene Flüssigkeiten, die im allgemeinen Handel erhältlich sind). Diese waren bei der Zubereitung von Lebensmitteln, Speisen und Getränken genauso wie Milch verwendbar, werden z.T. als Substitut für trinkbare Tiermilch eingesetzt (z.B. auch bei Milcheiweiß- oder -zuckerallergien).

Das FA versagte den ermäßigten Steuersatz; das FG hielt ihn für anwendbar, weil Milch und Milchersatzprodukte gleichartige Produkte seien, die unmittelbar miteinander im Wettbewerb stünden.

 

Entscheidung

Die Revision des FA hatte Erfolg. Waren pflanzlichen Ursprungs sind keine Milch; nach der – maßgeblichen – zolltariflichen Auslegung ist Milch i.S.d. Nr. 4 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UStG i.V.m. Kap. 4 KN das "Gemelk" eines Tiers. Eine Einreihung in Nr. 31 oder 33 der Anlage ("Verschiedene Lebensmittelzubereitungen Kap. 21") scheidet deswegen aus, weil die allein in Betracht kommenden Pos. 1901 KN oder 2106 KN voraussetzt, dass die betreffende Lebensmittelzubereitung "anderweit weder genannt noch inbegriffen" ist. Die Waren der Klägerin sind jedoch Getränke i.S.d. Pos. 2202 KN, auf die Nr. 35 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UStG 1999 Bezug nimmt. Nr. 35 beschränkt die Ermäßigung jedoch auf Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch oder Milcherzeugnissen von mindestens 75 % des Fertigerzeugnisses. Die von der Klägerin vertriebenen Getränke enthielten nun gerade weder Milch noch Milcherzeugnisse tierischen Ursprungs.

 

Hinweis

Die Besprechungsentscheidung betraf zwar nur die Frage, ob Lieferungen von sog. "Milchersatzprodukten" dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Die Grundsätze sind jedoch von Bedeutung für alle der in der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG aufgeführten Gegenstände.

1. § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1999 verweist zur Beschreibung der Gegenstände, deren Lieferung ermäßigt besteuert wird, auf die Anlage, die wiederum auf den gemeinsamen Zolltarif (GZT) der EG verweist. Dem GZT liegt wiederum die Kombinierte Nomenklatur (KN) des Harmonisierten Systems (HS) zur Bezeichnung und Codierung der Waren zugrunde. Dazu gibt es Erläuterungen, die ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Positionen darstellen.

Die Anlage zum UStG verwendet – wie z.B. in den Fällen der Nr. 4 (Milch und Milcherzeugnisse) und Nr. 35 (Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch oder Milcherzeugnissen [z.B. Molke] von mindestens 75 % des Fertigerzeugnisses) – sog. Expositionen ("aus Kapitel 4" oder "aus Position 2002"), die nicht vollumfänglich auf eine Position der KN Bezug nehmen. In Expositionen verwendete Rechtsbegriffe sind zwar grundsätzlich umsatzsteuerrechtlich auszulegen, soweit sie eigenständige Begriffe verwendet, die zolltariflich ohne Belang sind. Verwendet die Exposition hingegen Begriffe der KN, sind diese nach den Regeln der KN auszulegen. Deshalb ist der Begriff "Milchmischgetränk" umsatzsteuerrechtlich auszulegen, weil er der KN fremd ist, während die Begriffe "Milch" und "Erzeugnisse" in Kap. 4 und in Pos. 2202 KN verwendet werden und deshalb zolltariflich auszulegen sind.

2. Nach der 6. EG-RL "können die Mitgliedstaaten den genauen Geltungsbereich der betreffenden Kategorien anhand der Kombinierten Nomenklatur" abgrenzen. Gemeinschaftsrechtlich sind sie aber nicht verpflichtet, für sämtliche Leistungen einer Kategorie oder eines Begriffs einer Kategorie des Anhangs H denselben Steuersatz anzuwenden. Sie müssen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten: D.h. gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der MwSt. dürfen nicht unterschiedlich behandelt werden (dazu aber unter 4.).

3. Milchmischgetränke und Milchersatzprodukte sind nach der KN, anhand derer die Mitgliedstaaten ihre Steuerermäßigungen ausdrücklich abgrenzen dürfen, nicht gleichartig, weil sie in unterschiedliche Unterpositionen einzureihen sind; darum müssen sie auch umsatzsteuerrechtlich nicht gleich behandelt werden. Aus der zolltariflichen Einordnung folgt zwingend die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung, dass Milchersatzprodukte nicht nach Nr. 35 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UStG 1999 dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Nicht gewünschte Konsequenzen des strengen Zolltarifrechts könnte der Gesetzgeber durch Einfügung einer ausdrücklichen Ausnahme in die betreffenden Bestimmungen der Anlage vermeiden.

4. Nicht entscheidend ist, dass Waren einen identischen Anwendungsbereich haben (können). Ent...

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