Leitsatz

Die Finanzbehörde entscheidet allein, ob sie den Ausgang eines verfassungs- oder bundesgerichtlichen Musterverfahrens abwartet oder das Rechtsbehelfsverfahren durch Einspruchsentscheidung abschließt. Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung sind weder als vorweggenommene Werbungskosten bei der Einkünfteermittlung noch als unbegrenzt abziehbare Sonderausgaben zu berücksichtigen.

 

Sachverhalt

Die Klägerin war im Streitjahr nichtselbstständig tätig und wurde vom Beklagten erklärungsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin legte gegen den Einkommensteuerbescheid fristgerecht Einspruch wegen der steuerrechtlichen Berücksichtigung ihrer Rentenversicherungsbeiträge ein und beantragte, das Einspruchsverfahren aufgrund eines beim BFH anhängigen Verfahrens zum Ruhen zu bringen. Der Beklagte wies mit Einspruchsentscheidung den Einspruch als unbegründet zurück. Mit der fristgerecht erhobenen Klage trägt die Klägerin insbesondere vor, dass der Beklagte gegen die Zwangsruhe gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO verstoße, weil er aufgrund anhängiger Revisionsverfahren ihr Einspruchsverfahren nicht zum Ruhen gebracht habe. Die Einspruchsentscheidung sei daher aufzuheben. Außerdem begehrt die Klägerin die Berücksichtigung der gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung als Werbungskosten bzw. vollabziehbare Sonderausgaben.

 

Entscheidung

Die Klage war unbegründet. Nach Ansicht des FG habe die Klägerin keinen Anspruch auf isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung, weil sie keinen Anspruch auf ein Ruhen des Einspruchsverfahrens gemäß § 363 Abs. 2 AO habe. Nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ruhe das Einspruchsverfahren kraft Gesetzes, falls wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren beim EuGH, dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht anhängig und die Steuer wegen dieser Rechtsfrage nicht nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig festgesetzt worden sei. Die gesetzliche Zwangsruhe setze aber nur dann ein, wenn die Rechtsfrage über die in dem Musterverfahren entschieden werde, für die Entscheidung im Einspruchsverfahren präjudiziell sei. Sinn und Zweck des Ruhens des Einspruchsverfahrens sei die Verfahrensökonomie, eine für die Einspruchsentscheidung bedeutsame Entscheidung eines obersten Gerichts abzuwarten. Dem Einspruchsführer stehe jedoch kein subjektiv-öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO bzw. wie im Streitfall Fortbestand der gesetzlichen Zwangsruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO zu. Vielmehr ergebe sich aus § 363 Abs. 2 Satz 4 AO, dass das Einspruchsverfahren jederzeit fortgesetzt werde, wenn das Finanzamt dies dem Einspruchsführer mitteile. Entscheide das Finanzamt trotz Anhängigkeit eines verfassungsgerichtlichen oder bundesgerichtlichen Musterverfahrens über den Einspruch in der Sache, so bleibe dem Steuerpflichtigen der Weg der Anfechtungsklage gem. § 40 Abs. 1 FGO mit dem Ziel, Aufhebung bzw. Änderung des angefochtenen Steuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu erstreiten. Es handle sich bei § 363 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 AO ausschließlich um eine Vorschrift zur Entlastung des Verwaltungs- sowie des sich möglicherweise anschließenden Gerichtsverfahrens. Aus § 363 Abs. 2 Satz 4 AO werde jedoch deutlich, dass das Finanzamt nach wie vor "Herr" des Einspruchsverfahrens bleiben solle. Das Finanzamt allein entscheide, ob es im Falle einer Zwangsruhe des Einspruchsverfahrens das anhängige Verfahren abwarten oder eine Sachentscheidung treffen wolle. Die Klage war auch hinsichtlich des Hilfsantrags unbegründet. Das Gericht lehnte sowohl die Berücksichtigung der Rentenversicherungsbeiträge als Werbungskosten als auch den unbegrenzten Abzug als Sonderausgaben ab.

 

Hinweis

Die Revision wurde nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Zur Frage des Anspruchs auf Zwangsruhe gibt es - zu Recht - divergierende Urteile der Finanzgerichte. Höchstrichterlich ist diese Frage - soweit ersichtlich - abschließend noch nicht entschieden. Nimmt das Finanzamt das Einspruchsverfahren trotz Zwangsruhe wieder auf, besteht im Hinblick auf die bisher höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfrage der Fortführung des Einspruchsverfahrens trotz Zwangsruhe ein neuer, eigenständiger Grund zur Zwangsruhe gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO, soweit das Verfahren beim BFH noch anhängig ist.

 

Link zur Entscheidung

FG Düsseldorf, Urteil vom 20.10.2005, 15 K 4546/03 E

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