Rz. 72

Jedes mathematisch-statistische Verfahren, das wahrscheinlichkeitstheoretisch abgesichert ist, kann als zulässiges Stichprobenverfahren eingesetzt werden.[1] Somit lassen sich grundsätzlich Schätz- und Testverfahren unterscheiden, wobei beim Schätzverfahren der Gesamtwert des Vorratsvermögens aufgrund einer Stichprobe geschätzt wird, während beim Testverfahren anhand einer Stichprobe überprüft wird, ob die tatsächlich gezählten Bestände mit der Lagerbuchführung übereinstimmen.[2] Weiterhin hängt die Anerkennung als mathematisch-statistisches Stichprobenverfahren davon ab, dass die Stichprobenelemente zufällig aus der Grundgesamtheit entnommen werden und somit eine Zufallsauswahl gewährleistet ist. Dabei lässt sich die sog. ungeschichtete Zufallsauswahl, bei der jede Lagerposition die gleiche von Null verschiedene Chance haben muss, in die Stichprobenauswahl zu gelangen, von der sog. geschichteten Zufallsauswahl unterscheiden, bei der jede Lagerposition eine berechenbare, von Null verschiedene Chance haben muss, in die Stichprobenauswahl zu gelangen.[3]

 

Rz. 73

Folgende mathematisch-statistische Schätzverfahren[4] kommen in Betracht:

  • Mittelwertverfahren:

    • der Gesamtinventurwert ergibt sich bei der einfachen Mittelwertschätzung aufgrund von Zufallsstichproben durch Multiplikation des Stichprobenmittelwerts mit der Anzahl der Lagerpositionen,
    • bei dem geschichteten Mittelwertverfahren[5] erfolgt eine Aufteilung des Lagerbestandes in (Wert-)Schichten, wodurch der Stichprobenumfang i. d. R. verringert werden kann, und anschließend werden aus den einzelnen Schichten aufgrund von Zufallsstichproben Inventurwerte für die einzelnen Lagerpositionen ermittelt, so dass sich der Gesamtinventurwert durch Multiplikation des durchschnittlichen Inventurwertes je Lagerposition mit der aus der Lagerbuchführung bekannten Zahl der Lagerpositionen ergibt.
  • Gebundene Schätzverfahren:

    die Informationen der bestandszuverlässigen Lagerbuchführung werden bei der Schätzung als Hilfsinformationen herangezogen, wobei die Stichproben dazu dienen, den Zusammenhang zwischen den Schätzvariablen (Inventurwerten) und den Hilfsvariablen (dazugehörige Buchwerte der Lagerpositionen) zu ermitteln. Dies bedeutet, dass bei diesem Verfahren die Abweichungen zwischen den Stichprobenergebnissen und den Lagerbuchwerten im Rahmen von Differenzschätzungen, Verhältnisschätzungen und Regressionsschätzungen zu einer Gesamtabweichung hochgerechnet werden. In der Praxis findet aufgrund seiner einfachen Handhabung am häufigsten die Differenzschätzung Anwendung. Bei diesem Verfahren wird der Gesamtwert des Lagers hochgerechnet auf der Grundlage der durch eine Stichprobe ermittelten Differenzen zwischen Ist- und Sollbestand.

 

Rz. 74

Bei den Mittelwertverfahren, die auch freie Hochrechnung genannt werden, ist eine Bestandsfortschreibung nicht erforderlich, während bei den gebundenen Schätzverfahren eine Bestandsfortschreibung vorausgesetzt wird. Allerdings erfordert der Einzelnachweis der Vermögensgegenstände nach Art, Menge und Wert eine bestandszuverlässige Lagerbuchführung.[6]

 

Rz. 75

Bei den Testverfahren wird die Ordnungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Lagerbuchführung getestet und nicht ein Wert für die Grundgesamtheit geschätzt. Als Testverfahren kommen z. B. der Wilcoxon-Test, der Differenztest oder der Sequentialtest, der in erster Linie in der Praxis zur Anwendung kommt, in Betracht, soweit sie die geforderten Ordnungsmäßigkeitsgrundsätze erfüllen.[7]

 

Rz. 76

Beim homograden Sequentialtest wird die Nullhypothese "Lagerbuchführung bestandszuverlässig" gegen die Alternativhypothese "Lagerbuchführung nicht bestandszuverlässig" getestet. Anhand der nach dem Zufallsprinzip gezogenen Stichproben werden die Mengenbestände der Lagerbuchführung überprüft, um die fehlerhaften Lagerpositionen zu ermitteln. Die Parameter, die die statistische Sicherheit der Entscheidung sowie den prozentualen Fehleranteil, der noch toleriert werden bzw. gerade nicht mehr toleriert werden kann, bestimmen, sind individuell festzulegen.[8] Aufgrund dieser Daten sind dann die Annahme- und Rückweisungsgrenzen unter Verwendung der entsprechenden Formeln[9] zu berechnen. Insgesamt müssen also vor Testbeginn folgende Parameter festgelegt werden:

  • das α-Risiko, d. h. die Wahrscheinlichkeit, eine ordnungsmäßige Lagerbuchführung abzulehnen,
  • das β-Risiko, d. h. die Wahrscheinlichkeit, eine nicht ordnungsmäßige Lagerbuchführung anzunehmen,
  • den Fehleranteil p0, den der Prüfer als zulässig erachtet,
  • den Fehleranteil p1, den der Prüfer als unzulässig erachtet.
 

Rz. 77

Allgemein werden die Wahrscheinlichkeiten α und β mit 5 % angenommen, so dass sich hieraus eine Aussagesicherheit von 95 % ergibt.[10] Der Ansatz der Fehleranteile erfolgt mit p0 = p1/2, wobei gem. der strengen Anforderung der AWV[11] die Nullhypothese bei einer Anzahl fehlerhafter Positionen von 1 % abgelehnt werden soll. Da man davon ausgehen kann, dass die Lagerpositionen nicht in voller Höhe fehlerhaft sind, haben die ermittelten Fehler ...

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