5.2.1 Ursprüngliche Rechtslage

Nach dem früheren Wortlaut von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG kam ein Sonderausgabenabzug für Beiträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG (Vorsorgeaufwendungen) nur dann in Betracht, wenn diese nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen standen. Die Regelung entsprach § 3c Abs. 1 EStG für den Werbungskosten-/Betriebsausgabenabzug.

5.2.2 Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat

[1]

entschieden, dass die unionsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Artikel 45 AEUV (vorher: Artikel 39 EG) der Regelung eines Mitgliedstaates entgegensteht, nach der die Altersvorsorgeaufwendungen und Krankenversicherungsbeiträge von in einem EU-Mitgliedstaat tätigen, aber in Deutschland wohnenden Arbeitnehmern, deren Arbeitslohn nach einem Doppelbesteuerungsabkommen von der inländischen Besteuerung freigestellt ist, vom Sonderausgabenabzug ausgenommen sind.

[1] EuGH, Urteil v. 22.06.2017 Rechtssache C-20/16 Bechtel, BStBl II 2017, 127.

5.2.3 Erste Reaktion der Finanzverwaltung

Bereits im Vorgriff auf eine gesetzliche Änderung von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG hatte die Finanzverwaltung

[1]

den erweiterten nicht diskriminierenden Sonderausgabenabzug für alle offenen Fälle gewährt.

5.2.4 Gesetzliche Nachbesserung

Durch das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (UStAVermG) vom 11.12.2018, BGBl 2018 I S. 2338, BStBl 2018 I S. 1377, erfolgte die gesetzliche Nachbesserung. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG wurde dahingehend ergänzt, dass Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG auch dann zu berücksichtigen sind, soweit

  • sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erzielten Einnahmen aus nichtselbstständiger Tätigkeit stehen,
  • diese Einnahmen nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) im Inland steuerfrei sind und
  • der Beschäftigungsstaat keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dieser Einnahmen zulässt.

Gemäß § 52 Abs. 18 Satz 4 EStG ist die Neuregelung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG in allen offenen Fällen anzuwenden.

5.2.5 Zweite Reaktion der Finanzverwaltung

Nach der zweiten Verwaltungsanweisung

[1]

ergibt sich für die einzelnen EU-/EWR-Staaten Folgendes:

Fallgruppe 1

Sonderausgabenabzug möglich, da alle in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG n. F. genannten Voraussetzungen erfüllt sind:

Großbritannien & Nordirland, Irland, Litauen, Malta, Niederlande (mögliche Ausnahme: Beschluss vom Staatssecretaris vom 24.03.2014, DGB 2014/144M, Stcrt. Nr. 9763 – bei auch Wohnsitz in den Niederlanden und deutsche Sozialversicherungsbeiträge), Tschechische Republik und Ungarn.

Fallgruppe 2

Sonderausgabenabzug nicht möglich, da mindestens eine der in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG n. F. genannten Voraussetzungen (in den Staaten ist ein – anteiliger – Sonderausgabenabzug möglich) nicht erfüllt ist:

Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Luxemburg, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien und Spanien

Fallgruppe 3

Sonderausgabenabzug möglich, weil das Doppelbesteuerungsabkommen die Anwendung der Anrechnungsmethode vorsieht, beide Vertragsstaaten besteuern und mithin kein steuerfreier Arbeitslohn vorliegt:

Liechtenstein, Norwegen, Zypern

Eine Berücksichtigung entsprechender Vorsorgeaufwendungen erfolgt erst im Veranlagungsverfahren. Eine Berücksichtigung bereits im Rahmen des Lohnsteuerabzugs und der Lohnsteuerbescheinigung ist grundsätzlich nicht zulässig.

Negativkatalog:

Im Umkehrschluss scheidet eine Berücksichtigung somit aus, soweit

  • die nichtselbstständige Tätigkeit außerhalb der EU/des EWR, also in einem Drittstaat, ausgeübt wird (z. B. Schweiz), oder
  • der Arbeitslohn nach dem Auslandstätigkeitserlass (ATE) steuerfrei ist oder
  • der Arbeitslohn nach einem zwischenstaatlichen Übereinkommen (z. B. Protokoll über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation – Europäisches Patentamt) steuerfrei ist.

    Dies ist allerdings umstritten, vgl. nachfolgend 5.2.6

[1] BMF, Schreiben v. 31.8.2018, BStBl I S. 100.

5.2.6 Folgerechtsprechung und anhängige Verfahren

Das FG Düsseldorf hat

[1]

entschieden, dass auch bei Anwendung eines DBA mit einem Staat außerhalb der EU/des EWR (Drittstaat) und bei Anwendung des Auslandstätigkeitserlasses (ATE) Vorsorgeaufwendungen, die in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen und im ausländischen Tätigkeitsstaat nicht abziehbar sind, als Sonderausgaben zu berücksichtigen sind. Die gegen das Urteil des FG Düsseldorf eingelegte Revision (Az. X R 25/18) wurde mit Beschluss vom 26.2.2019 lediglich aus formalen Gründen als unzulässig verworfen. Das Urteil des FG Düsseldorf wird von der Finanzverwaltung weiterhin nicht allgemein anerkannt.

Vor dem BFH ist unter dem Az. X R 23/17 ein Revisionsverfahren zu der Frage anhängig, in welchem Umfang inländische Altersvorsorgeaufwendungen zur gesetzlichen Rentenversicherung, die in ...

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