Mit Urteil vom 17. Juli 2008[1] hat der BFH seine Rechtsprechung zur finalen Entnahmetheorie aufgegeben. Nach der bisherigen Rechtsprechung galt die Überführung von Einzelwirtschaftsgütern aus einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte stets als gewinnverwirklichende Entnahme, wenn die ausländischen Betriebsstättengewinne aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens von der Besteuerung im Inland freigestellt wurden. Diese Behandlung findet aber nach Auffassung des BFH keine ausreichende gesetzliche Grundlage und beruhe auf einer unzutreffenden Beurteilung der Besteuerungshoheit bei ausländischen Betriebsstätten inländischer Stammhäuser. Zur Begründung führt er Folgendes aus:

  • Die Überführung eines Wirtschaftsguts aus einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte würde nicht zur Auflösung des betrieblichen Funktionszusammenhangs führen, da es keinen Außenumsatz und folglich keinen Realisationstatbestand gebe. Private oder andere betriebsfremde Interessen, die zu einer gewinnrealisierenden Entnahme führen, lägen nicht vor.
  • Die stillen Reserven entgingen auch nicht endgültig deutscher Besteuerung, weil die Freistellung ausländischer Betriebsstättengewinne nicht die inländische Besteuerung beeinträchtige. Vielmehr sei eine Aufteilung des künftigen Veräußerungsgewinns nach Verursachungsbeiträgen durch Art. 7 Abs. 2 OECD-Musterabkommen (im Streitfall Art. 4 Abs. 2 DBA-Österreich 1954) sichergestellt.

Diese Besteuerung der im Inland bis zur Überführung entstandenen stillen Reserven dürfe nicht bereits im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts erfolgen. Unabhängig davon, welche Theorie bei der Auslegung der DBA-Bestimmungen zur Abgrenzung der Betriebsstättengewinne verfolgt würde, läge der Besteuerungszeitpunkt in der Zukunft, möglicherweise erst bei tatsächlicher Realisation durch einen Außenumsatz. Die Entscheidung darüber ließ der BFH offen, weil er lediglich feststellte, dass im Streitjahr keine Besteuerung erfolgen dürfe.

Auch der von der OECD favorisierte Ansatz (Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte-Functionally Separate Entity Approach), wonach Stammhaus und Betriebsstätte so zu behandeln seien, als seien sie wirtschaftlich und rechtlich selbstständige, voneinander unabhängige Unternehmen, führe nicht zu einer Sofortbesteuerung. Zum einen sei dieser Ansatz im Streitjahr nicht gesetzlich niedergelegt. Zum anderen begegne er gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. Außerdem entspreche der bei der finalen Entnahmetheorie anzusetzende Teilwert nicht dem nach Fremdvergleichsgrundsätzen anzusetzenden Wert.

Gestaltungspotenzial

Der BFH geht im Urteil v. 17.7.2008[2], das die Überführung einer Beteiligung betrifft, davon aus, dass sich für Deutschland kein Verlust des Besteuerungsrechts für ‹Altreserven› ergibt. Damit ließe sich im Gegensatz zu Transaktionen zwischen verbundenen abhängigen Unternehmen (Mutter-/Tochtergesellschaften) eine Sofortbesteuerung verhindern. Untersucht man für diese Wertung die in der Praxis häufigeren Fälle der Übertragung von Maschinen (bewegliches Anlagevermögen) und immateriellen Wirtschaftsgütern, kommt man zum Ergebnis, dass dies im Regelfall nicht zutrifft.

 
Praxis-Beispiel

Immaterielle Wirtschaftsgüter

Ein inländisches Pharmazieunternehmen hält ein geschütztes Patent im Wert von 10 Mio. EUR. Die verbleibende Patentschutzlaufzeit beträgt 10 Jahre. Im Jahr 1 wird die gesamte Produktion des entsprechenden Präparats nach Irland verlagert. Das Patent ist der Auslandsbetriebsstätte zuzuordnen. Im Jahr 11 wird wegen aufkommender Generikaprodukte die irische Fabrik geschlossen. In derartigen Fällen kommt es regelmäßig nicht zu einer Außenrealisierung der stillen Reserven des immateriellen Wirtschaftsguts. Vielmehr wandeln sich die stillen Reserven in laufende Gewinne der ausländischen Produktionsbetriebsstätte um, da es nach derzeitigen OECD-Grundsätzen nicht möglich ist, dieser den in der Vergangenheit entstandenen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen zu belasten.

 
Praxis-Beispiel

Abnutzbares Anlagevermögen

Eine gebrauchte Industrieanlage wird im Jahr 1 mit AK von 1 Mio. EUR angeschafft. Infolge degressiver AfA etc. ergibt sich im Jahr 5 ein Buchwert von 500.000 EUR. Der gemeine Wert beträgt 800.000 EUR. Im Jahr 5 wird die Maschine in eine österreichische Betriebsstätte überführt. Es entstünde ein Entstrickungs-/Überführungsgewinn von 300.000 EUR. Im Jahr 10 wird die Anlage in Österreich verschrottet.

Die stille Reserven i. H. v. 300.000 EUR sind durch steuerliche Abschreibungen entstanden, die über dem wirtschaftlichen und technischen Wertverzehr liegen. Kommt es nicht nur Außenrealisation, können die stillen Reserven nie in Deutschland versteuert werden.

Für beide Fälle ist festzuhalten, dass ungeachtet der vom BFH vorgenommenen Auslegung des Art. 13 Abs. 2 OECD-MA (‹Besteuerungsrecht für Altreserven›) faktisch Deutschland das Besteuerungsrecht verliert.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass es der BFH mangels Entscheidungserhebli...

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