Eine sinnvolle Reaktion auf die stärkere Individualisierung von Prozessen besteht darin, agile Vorgehensweise zur kundenorientierten Wertschöpfung unter dynamischen und komplexen Bedingungen in einer differenzierten Prozessbeschreibung festzulegen. Die Prozessbeschreibungen bleiben die Spielregeln des Unternehmens, aber diese sind nun das agile Vorgehen und nicht mehr die traditionelle Vorgehensweise. So wird der Prozessschritt "Plan-Ist-Abweichungen analysieren" möglicherweise durch "Risiko der Abweichung beurteilen und diskutieren" ersetzt.

Agile Prozesse werden also nicht detailliert inhaltlich beschrieben, sondern es werden Standards für den Ablauf in Form von Meilensteinen o. ä. gesetzt – es wird also im Sinn von Eckpunkten das WAS definiert und dadurch ein Rahmen für flexibles Handeln gesetzt. Am Beispiel von Entwicklungs- oder Marketingprozessen ist das Prinzip heute schon verbreitet zu sehen. Der Inhalt ist sehr durch Kreativität und Individualität geprägt und dennoch gibt es klare Regeln für die Rahmensetzung z. B. durch klare Rollen, Standarddokumente etc.

Es gibt Organisationsmodelle, die eine agile Vorgehensweise in der Unternehmenssteuerung unterstützen, wie das Konzept des Scaled Agile Frameworks (SAFe),[1] welches die kundenorientierte Wertschöpfung in einem unternehmensweiten Konzept beschreibt. Viele der agilen Vorteile wie die Orientierung an Werten, häufiges Kundenfeedback, minimale Time-to-Market, schnelle Reaktion auf Änderungen werden in diesem Denkmodell durchgängig in Prozessen umgesetzt. Das Grundprinzip der klaren Prozesse bleibt dabei erhalten – aber klar fokussiert auf die Rahmensetzung des "Was zu tun ist".

Das situative WIE bleibt im Rahmen des WAS flexibel. Denn agiles Vorgehen ist iterativ und teilweise auch explorativ. Ergebnisse können nicht auf längere Fristen genau vorhergesagt werden. Daher werden größere Vorhaben wie die Entwicklung eines neuen Produktes ausgehend von vereinbarten User Stories in kürzere Zyklen unterteilt und für jeden dieser nur wenige Wochen umfassenden Zeiträume erfolgt eine Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen und insbesondere an Kundenanforderungen.

Die Leistungsprozesse in einem solchen Umfeld umfassen also nicht eine lange Planungsphase und ganz am Ende eine Abstimmung des Ergebnisses mit dem Kunden, sondern arbeiten viel mit Methoden des Risikomanagements und viel mit kontinuierlicher Kundenkommunikation.

Die Prozessbeschreibung schreibt dann Methoden wie die Risikoanalyse, eine wiederholte Nutzenanalyse, ein (rapid) Prototyping und eine ständige Akzeptanzprüfung durch den Kunden vor. Diese sind dann als Spielregeln der gemeinsamen Arbeit von allen einzuhalten. Die konkreten Inhalte können von den Mitarbeitern wiederum auf der Basis der gemeinsamen agilen Kultur und des tiefen Verständnisses des Geschäfts gemeinsam situationsabhängig formuliert werden.

Leistungserstellung wird nicht in allen Bereichen des Unternehmens mit agilen Methoden erfolgen. Es gibt infrastrukturelle und Service-Bereiche, die eine verlässliche Grundlage für alle anderen Tätigkeiten im Unternehmen bereitstellen, z. B. die Buchhaltung oder sicherheitsrelevante Produktionsprozesse (etwa in der Chemieindustrie oder in Kraftwerken). Derartige Prozesse müssen immer sowohl im WAS als auch im WIE klar definiert und beschrieben sein und bieten entsprechend wenig Auslegungsspielräume. Hier geht es um verlässliche Standards, wobei diese Art der Prozesse zunehmend automatisiert werden oder zumindest das Potenzial dafür bieten.

Wir müssen also unterscheiden zwischen

  • Rahmen setzenden Prozessen, die Raum lassen für situativ flexible Umsetzungen und
  • unterstützenden Basis-Prozessen, deren Ausführung immer exakt gleich sein muss.
[1] Vgl. www.scaledagile.com; SAFe ist ein umfangreicher, von Dean Leffingwell entwickelter Ansatz, um agile Prinzipien, die bisher üblicherweise auf Projektebene bzw. in einzelnen Teams zum Einsatz kommen, auf größere Organisationen bis hin zum gesamten Unternehmen zu skalieren.

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