Die Potenziale, die sich aus der Industrie 4.0 ergeben, sind, wie eingangs erwähnt, vielfältig. Allerdings ist dies Fluch und Segen zugleich: Zwar werden technologische und organisatorische Grundlagen der Industrie 4.0 durch unzählige Anwendungsbeispiele greifbar gemacht, die Projektion auf das einzelne Unternehmen ist jedoch oft schwierig.

Es lassen sich jedoch grundsätzlich zwei Wege zur Industrie 4.0 beschreiben, die als Grundlage für die weitere Vertiefung des Themas dienen können:

  • Industrie 4.0 als Evolution erlaubt es, bestehende Geschäftsmodelle und -prozesse signifikant zu verbessern (Kapitel 2.1).
  • Industrie 4.0 als Revolution ermöglicht die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle (Kapitel 2.2).

2.1 Industrie 4.0 als Evolution: Smart Factory

Flexibilität als neue Steuerungsgröße

Produktqualität, Ressourcen- und Kosteneffizienz sowie eine möglichst geringe Produktionszeit werden traditionell als die zentralen Ziele der Produktion eines Unternehmens genannt. In den letzten Jahren wurden diese Ziele vermehrt durch den Aspekt der Nachhaltigkeit von Produktionsabläufen ergänzt. In Zeiten volatiler Märkte und globalen Wettbewerbs gewinnt aber auch die Flexibilität von Produktionsprozessen immer mehr an Bedeutung[1] und wird als Steuerungsgröße immer wichtiger. Flexibilität wird hier primär als die Fähigkeit verstanden, sich in kurzer Zeit effektiv an neue Rahmenbedingungen im Geschäftsumfeld anzupassen. Die Faktoren Handlungsspielraum, Handlungsschnelligkeit und Handlungsbereitschaft werden als zentrale Bewertungsmaßstäbe zur Bestimmung der Flexibilitätskapazitäten eines Unternehmens herangezogen.[2] Des Weiteren ist es möglich zwischen der physischen Flexibilität bestimmter Produktionsfaktoren und der dispositiven Flexibilität in Bezug auf die Planung und Steuerung der Produktion zu unterscheiden.[3]

Mass Customization preiswert möglich

Wo normalerweise Zielkonflikte zwischen den genannten Produktionszielen herrschen, ermöglicht Industrie 4.0 eine konsequente und simultane Umsetzung aller Aspekte: Unter dem Stichwort "Mass Customization" können zum Beispiel durch Online-Konfiguratoren und die Analyse von "Big Data" die Anforderungen der Kunden präzise bestimmt werden, was die Herstellung von individualisierten Produkten, kundenspezifischen Komplettlösungen und somit Variantenvielfalt bis hin zur Losgröße 1 ermöglicht.[4] Parallel zur daraus resultierenden hohen Produktqualität kann nun auch eine signifikante Verbesserung der Kosteneffizienz erreicht werden, da sich die niedrigen Stückkosten im Vergleich zu traditioneller Produktion nicht mehr aus Skaleneffekten, sondern aus der effizienten Nutzung von Ressourcen durch flexible Prozesse ergeben.[5]

Die erfolgreiche Umsetzung der zuvor genannten Produktionsziele basiert dabei vor allem auf vier Kernbereichen, in denen die Industrie 4.0 signifikante Potenziale für Wertschöpfung verspricht. Sie sollen im Folgenden im Vergleich mit den heutigen Gegebenheiten übersichtlich dargestellt werden (vgl. Tab. 1).

 
  Industrie 3.0 Industrie 4.0
1) Systems Engineering
  • Statischer Produktionsprozess
  • Anpassungen der bestehenden Systeme aufgrund Inkompatibilitäten nur unter erheblichem Aufwand möglich
  • Standardschnittstellen und Baukastenprinzip ermöglichen flexible Fertigungslinien (freie Ergänzung bzw. Austausch einzelner Komponenten)
  • Virtuelle Planungsmodelle erlauben präzise Vorhersagen zu Auswirkungen geplanter Änderungen
2) Produktentwicklung
  • Aufwendige und zeitintensive Anfertigung von mehreren physischen Prototypen, auf deren Basis Verbesserungen vorgenommen werden
  • Einsatz von Computermodellen meist nur zur Planung
  • Simulationen nur sporadisch computergestützt
  • Neuartige Software erlaubt präzise Planung und Simulation im virtuellen Raum; somit nur ein einziger, bereits finaler Prototyp nötig (First-time-right-Prinzip)
  • Alternative: moderne 3D-Drucker senken Kosten und Zeitaufwand für die Erstellung von Prototypen
3) Intelligente Produktion
  • Werkstücke folgen prädestinierten Produktionspfaden
  • Konsequente zentrale Steuerung führt zu statischen Prozessen
  • Wenig Möglichkeiten, zeitnah auf sich ändernde Rahmenbedingungen zu reagieren
  • RFID-Chips ermöglichen Verfolgung von Werkstücken in Echtzeit
  • Smart Objects kommunizieren miteinander und navigieren selbstständig durch die Fabrik (dezentrale Prozesssteuerung)
  • Optimierte Kapazitätsplanung und Realisation des Just-in-Time-Prinzips
4) Resiliente Produktion
  • Ungeplante Störungen im Produktionsablauf (extern und intern) erfordern oft einen manuellen Eingriff des Menschen
  • Hohe Stillstandskosten, bis Prozess vollständig angepasst wurde
  • Eine konsequente Vernetzung entlang der kompletten Wertschöpfungskette (Stichwort: Internet der Dinge) ermöglicht die Erfassung von Störungen in Echtzeit
  • Moderne Steuerungssysteme leiten automatisch die notwendigen Korrekturmaßnahmen ein
  • Niedrige Stillstandskosten und Vertragsstrafen; hohe Zuverlässigkeit

Tab. 1: Industrie 4.0 als Evolution

Kleine evolutionäre Schritte zur Industrie 4.0 einfach möglich

Die aufgezeigten Entwicklungen betreffen allesamt die intell...

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