Nachgehend

BFH (Urteil vom 30.10.1996; Aktenzeichen II R 70/94)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob gegenüber dem Kläger noch Erbschaftsteuer festgesetzt werden konnte oder bereits die Festsetzungsverjährung gemäß § 169 Abgabenordnung (AO) eingetreten war.

Der Kläger ist der Sohn des am … Februar 1985 verstorbenen Erblassers B.. Der Erblasser hatte testamentarisch seine Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt. Dem Kläger fiel sein gesetzlicher Pflichtteil zu. Am 28. März 1987 hatte die Alleinerbin nach Aufforderung durch den Beklagten eine Erbschaftsteuererklärung abgegeben, in der neben dem Kläger auch seine beiden Schwestern als Pflichtteilsberechtigte aufgeführt waren. Aufgrund einer nach dem Tode des Erblassers noch durchgeführten Betriebsprüfung und der daraus zu erwartenden Ergebnisse wurde zunächst keine Steuerfestsetzung vorgenommen. Erst mit Bescheid vom … Dezember 1991 wurde gegenüber dem Kläger Erbschaftsteuer in Höhe von …,– DM festgesetzt, wobei der in der Steuererklärung der Alleinerbin ausgewiesene Pflichtteilswert (…,– DM) als Nachlaß zugrundegelegt wurde. Der Bescheid, der als einfacher Brief versandt wurde, war wie folgt adressiert: Klaus Mustermann, Schillerstr. 12, 1234 X-Stadt.

Bei dieser Adresse handelte es sich um die Adresse der Mutter des Klägers, der Kläger selbst wohnte nicht mehr in X-Stadt, sondern in Y-Stadt. Der Steuerbescheid wurde offensichtlich durch die Mutter an den Kläger weitergeleitet und ist ihm am 9. Januar 1992 unter seiner richtigen Anschrift zugegangen. Der Kläger hat gegen den Bescheid am 20. Januar 1992 Einspruch erhoben mit der Begründung, die Festsetzungsfrist sei gemäß § 169 AO abgelaufen, insbesondere sei auch der Beginn der Festsetzungsfrist nicht nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO hinausgeschoben gewesen.

Durch Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 1993 wurde der Einspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben.

Er vertritt nach wie vor die Ansicht, daß ihm gegenüber die Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Da der Bescheid vom 19. Dezember 1991 fehlerhaft adressiert gewesen sei und ihn erst am 9. Januar 1992 erreicht habe, sei die Festsetzungsfrist abgelaufen. Durch die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes an einen falschen Adressaten könne die Festsetzungsfrist gegenüber dem zutreffenden Steuerpflichtigen nicht gewahrt werden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Steuerbescheid vom 19. Dezember 1991 ersatzlos aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt im wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung Bezug und ist der Meinung, daß ein Verwaltungsakt trotz unrichtig angegebener Anschrift wirksam bekanntgegeben sei, wenn der Adressat – so wie im vorliegenden Fall – den Bescheid tatsächlich erhalte. Da dieser Bescheid rechtzeitig vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen habe, sei keine Verjährung eingetreten, auch wenn der Kläger den Bescheid erst am 9. Januar 1992 erhalten habe.

Dem Senat lag die den Kläger betreffende Erbschaftsteuerakte vor.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid ist rechtmäßig. Er ist wirksam bekanntgegeben worden und ihm kann nicht der Einwand der Festsetzungsverjährung entgegengesetzt werden.

I. Wirksame Bekanntgabe des Steuerbescheides:

Gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 AO wird ein Verwaltungsakt in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er demjenigen bekanntgegeben wird, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Der Verwaltungsakt wird danach mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben wird. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH wird ein Steuerbescheid dadurch bekanntgegeben, daß derjenige, für den er nach dem Willen der erlassenden Behörde bestimmt ist, die Möglichkeit der Kenntnisnahme erhält (vgl. Urteil des BFH vom 1. Februar 1990 V R 74/85, BFH/NV 1991, 2).

Im zu entscheidenden Fall sind diese Voraussetzungen erfüllt. Der Kläger hat von dem Inhalt des trotz der fehlerhaften Adressierung an ihn gerichteten Erbschaftsteuerbescheides Kenntnis nehmen können, nachdem ihm der Bescheid am 9. Januar 1992 unstreitig übergeben worden war. Dies entsprach zwar keiner der im Gesetz vorgesehenen Formen der Bekanntgabe eines Steuerbescheides (§ 122 Abs. 2 AO = Übermittlung durch die Post bzw. § 122 Abs. 5 AO = förmliche Zustellung nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes – VwZG –). Dieser Formmangel bewirkt aber nicht die Unwirksamkeit der Bekanntgabe, sondern beeinflußt nur den Beginn der Einspruchsfrist (vgl. Urteil des BFH vom 1. Februar 1990 V R 74/85, a.a.O.). Diese Auslegung der §§ 122, 124 AO stützt der Senat insbesondere darauf, daß die Regelungen über die Form der Bekanntgabe keinem Selbstzweck genügen und daher ihre Bedeutung verlieren, wenn ihre Aufgabe, dem Empfänger die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt des Verwaltungsaktes zu verschaff...

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