Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatzleistungen wegen Wirtshausrangelei als außergewöhnliche Belastung

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Als ein die Zwangsläufigkeit begründender rechtlicher Grund kommt nur eine rechtliche Verpflichtung in Betracht, die der Steuerpflichtige nicht selbst, z. B. aufgrund rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, gesetzt hat.
  2. Bei Schadenersatzverpflichtungen liegt eine Zwangsläufigkeit nur vor, wenn sich der Steuerpflichtige dem schadensbegründenden Ereignis nicht entziehen konnte, weil er durch außerhalb seiner freien Willensbestimmung liegende Umstände zu seinem konkreten Verhalten veranlasst oder gezwungen war.
  3. Die zum Bereich eines Fehlverhaltens im Straßenverkehr entwickelte Rechtsprechung, wonach die Abzugsfähigkeit von Schadensersatzzahlungen als außergewöhnliche Belastung gegeben ist, wenn der Steuerpflichtige bei der Schädigung weder vorsätzlich noch leichtfertig (grob fahrlässig) gehandelt hat, ist nur aufgrund der latenten Gefährdungslage wegen des gestiegenen Verkehrsaufkommens gerechtfertigt, bei der selbst einem besonnenen und gewissenhaften Steuerpflichtigen in einem kurzen Moment der Unachtsamkeit Fehler mit für ihn weitreichenden finanziellen Nachteilen unterlaufen können.
  4. Bei einer Wirtshausrangelei liegt eine zwangsläufige Belastung nur dann vor, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass er - von den Umständen überwältigt - ohne eigenes Zutun und damit unfreiwillig in diese Situation hineingeraten ist und keine Möglichkeit hatte, dem Geschehen auszuweichen.
 

Normenkette

EStG § 33 Abs. 1

 

Streitjahr(e)

1996

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine von dem Kläger geleistete Schadensersatzzahlung sowie Anwaltskosten im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung der Kläger für das Streitjahr 1996 als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Dem Streitfall liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 5.9.1993 kam es in einer Gaststätte in Marburg-Schröck zwischen dem Kläger und Martin Olszweski (nachfolgend 0.) zu Handgreiflichkeiten, die damit endeten, dass O. durch einen Kleiderständer, nach dem der Kläger gegriffen hatte, am linken Auge verletzt wurde. Hierdurch trat bei O. eine dauernde Beeinträchtigung seiner Sehfähigkeit ein. Die Erwerbsminderung beträgt 25 %.

Der Kläger wurde daraufhin sowohl von O. als auch von der Innungskrankenkasse, bei der O. versichert war, auf Schadensersatz verklagt.

Das Landgericht (LG) Marburg verurteilte den Kläger mit Urteil vom 31.10.1995 (Az.: 1 O 69/94) auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 DM sowie weiterer 1.846,20 DM (Ausgleich materieller Schäden), jeweils nebst Zinsen, und stellte außerdem fest, dass der Kläger verpflichtet sei, O. alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Vorfall vom 5.9.1993 zu ersetzen, soweit dessen Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen seien. Das LG Marburg sah den Kläger als nach § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) schadensersatzpflichtig an und ging hierbei davon aus, dass er die Verletzung des O. zumindest fahrlässig herbeigeführt habe, indem er bei der Rangelei mit diesem den Kleiderständer gepackt und in Richtung des Gesichts des O. gestoßen habe. Gegen das Urteil vom 31.10.1995, auf das wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen wird, legte der Kläger Berufung beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main ein. Während dieses Verfahrens stimmte der Kläger einem außergerichtlichen Vergleich zu, demzufolge er sich zur Zahlung des Urteilsbetrags aus der ersten Instanz nebst 4 % Zinsen und zur Rücknahme der Berufung verpflichtete und O. erklärte, in Zukunft keine darüber hinausgehenden Ansprüche gegen den Kläger geltend machen zu wollen.

In dem Rechtsstreit der Innungskrankenkasse gegen den Kläger wurde er ebenfalls vom LG Marburg mit Urteil vom 19.10.1995 (Az.: 1 O 247/95) zum Schadensersatz verurteilt. In dem Berufungsverfahren gegen diese Entscheidung wurde die Klage der Innungskrankenkasse unter Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidung durch Urteil des OLG Frankfurt/Main vom 23.1.1997 (Az.: 15 U 241/95) mit der Begründung abgewiesen, es könne nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass der Beklagte zumindest fahrlässig gehandelt habe. Auf das vorgenannte Urteil wird Bezug genommen.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1996 machten die Kläger im Zusammenhang mit dem unter dem Az. 1 O 69/94 geführten Zivilrechtsstreit entstandene Aufwendungen in Höhe von insgesamt 65.538,86 DM (Ausgleich des materiellen und immateriellen Schadens nebst Zinsen sowie Anwaltsgebühren) als außergewöhnliche Belastungen geltend. Hierzu legten sie ein unter dem Datum vom 14.4.1998 angefertigtes Schreiben des Rechtsanwalts Winfried Will vor, der den Kläger seinerzeit in diesem Verfahren vertreten hatte. Darin wird ausgeführt, dass der Kläger im Berufungsverfahren den anwaltlichen Rat erhalten habe, sich mit O. im Vergleichswege zu einigen. Hierfür seien zwei Gesichtspunkte maßgeblich gewesen: Zum eine...

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