Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Spekulationsgeschäften

 

Leitsatz (redaktionell)

An der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Spekulationsgeschäften mit Wertpapieren nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG bestehen für den Veranlagungszeitraum 2000 wegen eines fortdauernden Vollzugsdefizits, trotz der Möglichkeit des Kontenabrufs (seit 01.04.2005), auch nach Ergehen des Urteils des BFH vom 29.11.2005 IX R 49/04, Bundessteuerblatt II 2006, 178, weiterhin die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigende ernstlichen Zweifel.

 

Normenkette

EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AO §§ 30a, 93 Abs. 7, § 93b; KWG § 24c; FGO § 69 Abs. 3, 6; GG Art. 3 Abs. 1

 

Streitjahr(e)

2000

 

Tatbestand

Die Antragsgegner sind als Eheleute für das Streitjahr 2000 zuletzt mit geändertem Bescheid vom xx.xx.2002 auf der Grundlage eines zu versteuernden Einkommens von … DM zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden. Dabei sind Einkünfte des Antragsgegners aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Wertpapieren in Höhe von … DM gemäß §§ 22 Nr. 2 i.V.m. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (Bundesgesetzblatt – BGBl – I S. 402) berücksichtigt worden. Das deswegen ursprünglich unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16.7.2002 IX R 62/99, Bundessteuerblatt (BStBl) II 2003, 74, geführte Einspruchsverfahren ruht gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung (AO) weiterhin.

Auf Antrag der Antragsgegner hat der beschließende Senat durch Beschluss vom 25.02.2003 1 V 4191/02 die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids bis einen Monat nach Bekanntgabe einer das Einspruchsverfahren abschließenden Entscheidung wegen ernstlicher Zweifel daran, ob die Besteuerung von Spekulationsgewinnen mit dem Grundgesetz noch vereinbar ist, obgleich die Durchsetzung des Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt werde, gemäß § 69 Abs. 3 Sätze 1 und 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 25.02.2003 Bezug genommen.

Nachdem der BFH inzwischen durch Urteil vom 29.11.2005 IX R 49/04, BStBl II 2006, 178, entschieden hat, dass die Besteuerung von privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der Fassung ab 1999 verfassungsgemäß ist, beantragt der Antragsteller unter Hinweis auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 31.03.2006 IV A 7 – S 0623 – 6/06, BStBl I 2006, 290, den Senatsbeschluss vom 25.02.2003 gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO aufzuheben.

Die Antragsgegner treten diesem Begehren entgegen. Sie machen im Wesentlichen geltend, dass nach wie vor ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auch für das Streitjahr 2000 bestünden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe mit Urteil vom 09.03.2004 2 BvL 17/02, BStBl II 2005, 56, die Vorgängervorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG wegen einer dem Gesetzgeber zuzurechnenden mangelhaften Durchsetzung der materiellen Steuerpflicht für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 als mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) unvereinbar und nichtig erklärt. Die Umstände des Erhebungsverfahrens und der Erhebungspraxis hätten sich seitdem jedenfalls bis zum Streitjahr 2000 nicht wesentlich geändert. Entgegen der in dem Urteil des BFH in BStBl II 2006, 178, vertretenen Auffassung sei das strukturelle Vollzugsdefizit insbesondere auch nicht durch das erst zum 01.04.2005 eingeführte Kontenabrufverfahren beseitigt worden. Der BFH habe selbst erkannt, dass sich das Kontenabrufverfahren nicht dazu eigne, Konten und Depots routinemäßig oder auch nur stichprobenhaft abzurufen.

Lediglich wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte oder aufgrund allgemeiner Erfahrungen bei einem bestimmten Steuerpflichtigen die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht komme, sei ein Kontenabruf zulässig. Dies entspreche nicht den Anforderungen, die das BVerfG in dem Urteil in BStBl II 2005, 56, gestellt habe. Danach müsse das Erhebungsverfahren so angelegt sein, dass im Rahmen gewöhnlicher Verwaltungsabläufe im Massenverfahren der Finanzämter im Großen und Ganzen eine gleichmäßige Besteuerung erzielt werde. Das Verfahrensrecht müsse so ausgestaltet sein, dass die gleichmäßige Umsetzung im Besteuerungsverfahren gewährleistet sei. Dem Steuerpflichtigen dürften keine unverhältnismäßigen Mitwirkungshandlungen und den Finanzbehörden kein übermäßiger Ermittlungsaufwand auferlegt werden. Es sei offenkundig, dass das von nicht näher bestimmten „konkreten Anhaltspunkten” abhängige und aufwändig ausgestaltete Kontenabrufverfahren diesen Anforderungen nicht genüge und eine Überprüfung eines jeden Steuerpflichtigen im Massenverfahren nicht ermögliche.

Hinzu komme, dass bei Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung zum 01.04.2005 die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO für das Streitjahr 2000 bereits zu einem großen Teil abgelau...

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