Leitsatz

1. Die erforderliche Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem mit der Haftung geltend gemachten Schaden richtet sich wegen des Schadenersatzcharakters der Haftung nach § 69 AO wie bei zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen nach der Adäquanztheorie.

2. Die erfolgreiche Insolvenzanfechtung einer erst nach Fälligkeit abgeführten LSt unterbricht den Kausalverlauf zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt jedenfalls dann nicht, wenn der Fälligkeitszeitpunkt vor dem Beginn der Anfechtungsfrist lag.

3. Die Pflicht zur Begleichung der Steuerschuld der GmbH im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit ist dem Geschäftsführer nach § 34 Abs. 1 AO, § 41a EStG nicht allein zur Vermeidung eines durch eine verspätete Zahlung eintretenden Zinsausfalls auferlegt, sondern soll auch die Erfüllung der Steuerschuld nach den rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit sicherstellen.

4. Der Zurechnungszusammenhang zwischen einer pflichtwidrig verspäteten LSt-Zahlung und dem eingetretenen Schaden (Steuerausfall) ergibt sich daraus, dass dieser Schaden vom Schutzzweck der verletzten Pflicht zur fristgemäßen LSt-Abführung erfasst wird.

 

Normenkette

§ 69, § 34 Abs. 1 AO, § 254 BGB, § 38 Abs. 3, § 41a EStG, § 17, § 130, § 143, § 144 InsO

 

Sachverhalt

Der Geschäftsführer einer GmbH hatte die ordnungsgemäß angemeldete LSt erst verspätetet an das FA abgeführt. Kurze Zeit später geriet die GmbH in Insolvenz. Der Insolvenzverwalter focht die LSt-Zahlung erfolgreich an, was ihm nicht möglich gewesen wäre, wenn der Geschäftsführer bei Fälligkeit gezahlt hätte.

Deshalb nahm ihn das FA in Haftung. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.02.2008, 1 K 226/05, Haufe-Index 2006145, EFG 2008, 998).

 

Entscheidung

Anders der BFH: Der Geschäftsführer haftet für die aufgrund der erfolgreichen Insolvenzanfechtung vom FA an die Masse zu erstattenden LSt, obwohl er sie abgeführt hatte!

 

Hinweis

Nach der Rechtsprechung des BFH haftet der Geschäftsführer einer GmbH für einen Steuerausfall, den das FA wegen Insolvenz der GmbH erleidet, nur dann persönlich, wenn er erstens die steuerlichen Pflichten der GmbH nicht erfüllt hat und zweitens diese Pflichtwidrigkeit für den Steuerausfall kausal wird. Es muss eine adäquate Kausalität gegeben sein, d.h. der Schaden des FA (also der Steuerausfall) hätte erfahrungsgemäß als Folge der vom Geschäftsführer begangenen Pflichtwidrigkeit eintreten können. Ist eine solche adäquate Kausalität auch dann gegeben, wenn der Geschäftsführer LSt zwar (wenn auch verspätet) abgeführt hat (beim FA also zunächst allenfalls ein Verzugsschaden eingetreten ist), diese Zahlung aber innerhalb der Insolvenzanfechtungsfrist (§ 131 InsO) geleistet worden ist und vom Insolvenzverwalter deshalb abgefochten werden konnte und erfolgreich angefochten ist?

In einem solchen Fall beruht der Steuerausfall gleichsam vordergründig auf der Anfechtungserklärung, aber eben auch auf der verspäteten Zahlung des Geschäftsführers. Ist ein in dieser Weise eintretender Steuerausfall aber auch die adäquat-kausale Folge einer verspäteten Zahlung? Und vor allem: Ist die Pflicht zur Abführung von LSt zu einem bestimmten (Fälligkeits-)Termin deshalb aufgestellt, um den Fiskus davor zu schützen, dass LSt-Zahlungen, die in der Krise geleistet werden, möglicherweise nach Insolvenzrecht später angefochten werden können?

Im (zivilen) Schadenersatzrecht wird eine dahin gehende Frage nach dem sog. Rechtswidrigkeitszusammenhang stets gestellt: Die Haftung muss auf solche Schäden  beschränkt werden, die dem Schädiger nach dem Sinn der von ihm verletzten Verhaltensnorm zugerechnet werden können; für gleichsam zufällig, ohne wertungsmäßigen Zusammenhang durch sein Verhalten ausgelöste Schäden soll er nicht haften müssen. Ist eine solche Prüfung auch im steuerlichen Haftungsrecht anzustellen? Der BFH müsste das eigentlich tun, wenn er es mit dem immer wieder betonten Schadenersatzcharakter der Geschäftsführerhaftung ernst meint! Aber so konsequent hat er diesen Charakter schon bei der Beurteilung hypothetischer Kausalverläufe (Ersatzursachen) nicht beachtet, sondern gleichsam in frei wertender Rechtsfindung sich von dem angeblichen Schadenersatzcharakter kurzerhand verabschiedet.

Hier, bei der Frage der Erheblichkeit eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs, argumentiert der BFH freilich einmal anders, wenn auch mit gleichem Ergebnis: Er will nicht ausschließen, dass ein Rechtswidrigkeitszusammenhang im obigen Sinn gegeben sein muss, um steuerliche Haftung zu begründen; die steuerlichen Fälligkeitsvorschriften hätten aber (auch) den Sinn, den Fiskus vor einer Insolvenzanfechtung zu schützen.

Eine überzeugende dogmatische Ableitung dieser Behauptung dürfte sich freilich schwer finden lassen. Der Hinweis auf das Institut des Säumniszuschlags, auf den sich der BFH stützt, wird jedenfalls nicht jedermann überzeugen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 11.11.2008 – VII R 19/08

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