Rz. 4

§ 50d EStG enthält Bestimmungen, die bei Geltung eines DBA anzuwenden sind. Das kann zu Ergebnissen führen, die bei direkter Anwendung des DBA und bei Auslegung seiner Bestimmungen nicht eintreten würden. Es stellt sich daher die Frage, ob § 50d EStG das jeweilige DBA "überschreiben" kann (Treaty override). § 50d Abs. 3 EStG schränkt die Entlastung nach einem DBA ein. § 50d Abs. 8 bis 11 EStG verdrängen unilateral die in einem DBA vereinbarte Freistellungsmethode durch die Anrechnungsmethode. Abs. 12 ordnet das Besteuerungsrecht u. U. abweichend von den Regelungen eines DBA Deutschland zu. Abs. 13 erweitert den Begriff der "Dividende" und kann damit in Widerspruch zu dem DBA treten. Abs. 14 schließt die Ermäßigung nach einem DBA bei der Option zur KSt in bestimmten Fällen aus. In allen Fällen enthält die Vorschrift also Regelungen, die im Gegensatz zu dem jeweils einschlägigen DBA stehen und daher abkommensverdrängend ("Treaty Overriding") wirken können[1]; zum Treaty Override des Abs. 10 vgl. Rz. 197ff. Damit ist das Verhältnis dieser Vorschrift zu § 2 Abs. 1 AO angesprochen, der die gegenteilige Regelung enthält, dass völkerrechtliche Vereinbarungen (DBA) den Steuergesetzen vorgehen. Diese dem Wortlaut nach bestehende Kollision des Geltungsbereichs beider Vorschriften ist mit den allgem. Regeln über den Anwendungsbereich von Gesetzen zu lösen.

 

Rz. 5

Ein Treaty Override liegt vor, wenn ein nationales Gesetz Regelungen enthält, die denen des DBA widersprechen und sich insoweit als das gegenüber dem DBA speziellere Gesetz Vorrang vor dem DBA zulegt. DBA als völkerrechtliche Verträge erlangen Rechtsqualität innerhalb des innerstaatlichen Rechtssystems nur durch die Übernahme in innerstaatliches Recht. Dies geschieht durch das Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG, durch das angeordnet wird, dass das Abkommen als nationales Recht anzuwenden ist. Rechte und Pflichten des Stpfl. können sich nicht aus einem völkerrechtlichen Vertrag, sondern nur aus einem Akt des Gesetzgebers und damit dem Vertragsgesetz ergeben. Das Vertragsgesetz ist in der Rechtsqualität einfaches Gesetz; also haben auch die DBA in ihrer Anwendung als innerstaatliches Recht nur die Qualität eines einfachen innerstaatlichen Gesetzes. Dem in nationales Recht umgesetzten völkerrechtlichen Vertrag kann kein höherer Rang als der eines einfachen Gesetzes eingeräumt werden. Völkerrechtliche Verträge, und damit auch DBA, enthalten grundsätzlich keine "allgemeinen Regeln des Völkerrechts" i. S. d. Art. 25 S. 2 GG, die einen "Zwischenrang" zwischen einfachem Gesetz und Grundgesetz einnehmen.[2]

 

Rz. 6

Die grundsätzlich andere Position des BFH[3] ist durch die Entscheidung des BVerfG[4] obsolet geworden. Der BFH hatte argumentiert, dass sich aus der "Völkerrechtsfreundlichkeit" des GG ergebe, dass alle Staatsorgane gehalten seien, Völkerrechtsverstöße zu vermeiden. Das gelte auch für den Gesetzgeber. Habe dieser einen völkerrechtlichen Vertrag durch den Anwendungsbefehl in innerstaatliches Recht umgesetzt, habe er sich der "Verfügungsmacht über den Rechtsbestand" begeben. Der völkerrechtliche Vertrag wirke ungeachtet der demokratisch legitimierten Rechtsetzungsbefugnis des Gesetzgebers als materiell-rechtliche "Sperre" gegen Änderungen. Das BVerfG hat dieser Ansicht eine klare Absage erteilt. Der Gesetzgeber sei nicht an frühere gesetzliche Entscheidungen gebunden. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG habe zwar Verfassungsrang, begründe aber keine uneingeschränkte Pflicht zur Beachtung aller völkerrechtlichen Verträge. Der Gesetzgeber sei auch nicht auf den Weg der Kündigung bzw. Neuverhandlung des DBA verwiesen.[5] Einmal sei der Gesetzgeber hierfür nicht zuständig. Eine Kündigung des DBA sei auch weder gegenüber dem anderen Staat noch dem Stpfl. das mildere Mittel.

Der BFH hat auch die Frage der Zulässigkeit des in § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG liegenden Treaty Override dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt.[6]

Das BVerfG hat hierüber noch nicht entschieden, doch ist angesichts der weitgehenden Zulassung des Treaty Override durch das BVerfG[7] nicht damit zu rechnen, dass das BVerfG die Vorschrift als verfassungswidrig einstufen wird.

 

Rz. 7

Als einfache Gesetze können die Regelungen der DBA mit anderen, gleichrangigen innerstaatlichen Normen kollidieren. I. d. R. wird sich dann das DBA als das speziellere Gesetz durchsetzen (lex specialis derogat legi generali), es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich ein späteres innerstaatliches Gesetz gegenüber dem DBA durchsetzt (lex posterior derogat legi priori). § 2 Abs. 1 AO soll lediglich bewirken, dass sich das DBA immer durchsetzt, und zwar sowohl gegenüber einem spezielleren als auch gegenüber einem späteren Gesetz. § 2 Abs. 1 AO enthält also eine besondere, einfach-gesetzliche Kollisionsnorm, die die allg. Bestimmungen zur Regelung von Normenkollisionen verdrängt. Eine höhere Rechtsqualität als die eines einfachen Gesetzes soll § 2 Abs. 1 AO den DBA jedoch nicht verleihen.[8]

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