Entscheidungsstichwort (Thema)

Frage der Rechtmäßigkeit von Zuschätzungen nach Steuerfahndungsprüfung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im Rahmen der Buchführung sind Betriebseinnahmen einzeln aufzuzeichnen. Aus Gründen der Praktikabilität sind bestimmte Berufsgruppen von der Pflicht zur Einzelaufzeichnung entbunden. Mit dieser Aufzeichnungserleichterung korrespondieren jedoch erhöhte Anforderungen an die Kassenführung. Es muss jederzeit ein Kassensturz möglich sein.

2. Im Streitfall besteht die Schätzungsbefugnis dem Grunde nach für alle Streitjahre, weil nicht gewährleistet ist, dass die vorgelegten Kassenaufzeichnungen die getätigten Umsätze vollständig wiedergeben. Es gab wiederholt Bedienungsfehler bei der Kasse, so dass auch nicht auszuschießen ist, dass der Anwender/Stpfl. bewusst in das System eingegriffen hat, um bestimmte Angaben zu unterdrücken oder zu verfälschen.

 

Normenkette

AO §§ 158, 145, 162 Abs. 1

 

Tatbestand

Zu entscheiden ist, ob bzw. inwieweit Zuschätzungen für die Jahre 1998 bis 2005 (Streitjahre) nach Durchführung einer Steuerfahndungsprüfung rechtmäßig sind.

Der am xx.xx.19xx geborene Kläger übernahm den seit mehreren Generationen bestehenden Familienbetrieb eines Fischgroß- und Einzelhandels am xx.xx.19xx von seiner Mutter. Er beschickte den Markt in D an vier Wochentagen. Hieraus erzielte er in den Streitjahren Umsätze und Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Der Kläger hat seinen Wohnsitz in den Niederlanden. Er beantragte für die Streitjahre die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht.

Der Kläger erklärte für die Jahre 1998 bis 2005 folgende Umsätze (7 %) und Gewinne (bis 2001 DM/ab 2002 EUR):

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

958.589

856.622

829.660

955.260

433.508

435.238

461.817

469.896

44.597

54.984

8.739

62.931

27.138

26.801

41.177

32.716

Der Kläger wurde zunächst erklärungsgemäß veranlagt.

Nach Durchführung einer Betriebsprüfung für die Jahre 1998 bis 2000 änderte der Beklagte die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide entsprechend dem Bericht vom 10.05.2004, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Die nach § 173 und § 164 Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheide datieren vom 25.06.2004. Für die Jahre 2001 bis 2003 wurde eine Anschlussprüfung durchgeführt, deren Ergebnisse im Bericht vom 01.02.2005 dargestellt sind.

Da der Prüfer für beide Prüfungszeiträume Mängel bei der Kassenführung feststellte, verwarf er die Buchführung als nicht ordnungsgemäß. Die erklärten Rohgewinnaufschläge (37,8 %, 45,7 %, 32,6 %, 36,3 %, 40,65 % und 37,13 %) lägen weit unter den Werten laut Richtsatzsammlung (54 bis 117 %). Die erforderlichen Zuschätzungen sollten auf der Grundlage des untersten Rohgewinnaufschlagsatzes laut Richtsatzsammlung (54 %) abzüglich eines Unsicherheitsabschlags von 10 % erfolgen. Vorgesehen waren Hinzuschätzungen i.H.v. 91.900 DM, 44.000 DM, 120.000 DM, 111.400 DM, 37.000 EUR und 48.100 EUR netto.

Die zweite Prüfung führte zur Einschaltung des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N. Dieses prüfte nun die Jahre 1998 bis 2005. Nach Durchsuchungen auch in den Niederlanden und weiteren Prüfungen der Buchführung bestätigten sich die Feststellungen zu der Kassen- und Buchführung. Der Prüfer führte eine Einzelkalkulation für den Zeitraum November 2002 bis Dezember 2003 durch. Danach ergab sich schließlich ein Aufschlagsatz von 67,46 %. Außerdem bezog er sich auf eine von dem Kläger selbst erstellte Kalkulation, wonach ein Rohgewinnaufschlagsatz von 71 % ermittelt worden war. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht vom 10.09.2007 hingewiesen.

Der Beklagte änderte darauf hin die Bescheide für die Jahre 1998 bis 2000 vom 25.06.2004 nach Hinweis auf die beabsichtigte Verböserung (§ 367 Abs. 2 AO) und die Möglichkeit zur Rücknahme des hiergegen eingelegten Einspruchs (vgl. Schreiben vom 09.10.2007). Die Einsprüche wurden nicht zurückgenommen. Der Beklagte stützte die Änderungen mit Einkommen- und Umsatzsteuerbescheiden vom 11.12.2007 auf die Vorschriften der §§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 132 AO.

Die Bescheide für die Jahre 2001 bis 2005 änderte er ebenfalls entsprechend den Zuschätzungen laut Bericht vom 10.09.2007. Die nach § 164 AO geänderten Bescheide 2001 bis 2005 datieren vom 11.10.2007.

Der Einspruch hatte teilweise Erfolg. Der Beklagte nahm einen Sicherheitsabschlag von 20 % vor. Danach beliefen sich die nicht versteuerten bzw. hinzu geschätzten Nettoumsätze nun auf (bis 2001 DM/ab 2002 EUR)

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

75.994

110.406

183.054

184.036

70.522

81.309

66.195

85.014

Auf die Einspruchsentscheidungen vom 26.07.2011 wird verwiesen.

Mit seinen hiergegen anhängig gemachten Klagen wendet der Kläger im wesentlichen ein, dass die Zuschätzungen wegen verhältnismäßig geringer Mängel und nicht repräsentativer Einzelfeststellungen (z.B. defekte Kasse nur in 2001 an 49 Marktagen, Fehlen weniger Z-Bons (13 von 215 in 2004) schon dem Grunde nach nicht gerechtfertigt seien. Dies gelte erst recht für deren Hö...

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