Entscheidungsstichwort (Thema)

Im Ausland beim anderen Ehepartner lebendes Kind, Auszahlung des Kindergelds an inländischen Berechtigten

 

Leitsatz (redaktionell)

Besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das beim anderen Ehegatten im EU-Ausland lebt, kann die Auszahlung an den im Inland lebenden Berechtigten erfolgen, wenn dem anderen Ehegatten kein inländischer Kindergeldanspruch und auch kein Anspruch auf ausländische Familienleistungen, die dem deutschen Kindergeld entsprechen, zusteht.

 

Normenkette

EStG § 63 Abs. 1 S. 3, § 64; DVO (EG) 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2; VO (EG) 883/2004 Art. 67, 68; EStG §§ 62 ff

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 23.08.2016; Aktenzeichen V R 25/14)

BFH (Urteil vom 23.08.2016; Aktenzeichen V R 25/14)

 

Tatbestand

Zu entscheiden ist, ob die Klägerin Anspruch auf inländisches Kindergeld für ein in Polen beim Kindesvater lebendes Kind hat und die Auszahlung des Kindergeldes an sich verlangen kann.

Die Klägerin, die zu Beginn des Jahres 2010 ihren Wohnsitz in der A-Straße 1 in O hatte und diesen während des Jahres 2010 in die B-Straße 2, O verlegte, besitzt die polnische Staatsbürgerschaft und ist seit 2002 von dem Vater ihrer zwei Kinder T und K geschieden. Nach ihren Angaben war die Klägerin in der Zeit vom 01.10.2006 nichtselbständig beschäftig und bezog in der Zeit ihrer Arbeitslosigkeit vom 01.07.2008 bis zum 31.07.2010 Arbeitslosengeld II.

Der am 29.06.1991 geborene Sohn T der Klägerin lebte ursprünglich zusammen mit seinem am 01.06.1993 geborenen Bruder K im Haushalt des Kindesvaters, Herrn A 2, in S, W, Polen. Der Kindesvater, der für die beiden Söhne bis zum 11.04.2012 keinen Antrag bei den zuständigen Behörden auf die Gewährung von dem inländischen Kindergeld vergleichbaren polnischen Familienleistungen gestellt hat, bezog im Kalenderjahr 2009 aus einer in Polen ausgeübten nichtselbständige Tätigkeit Einkünfte i.H.v. 56.729,28 polnische Sloty und in den nachfolgenden Jahren 2010 und 2011 i.H.v. 73.388,88 polnische Sloty bzw. von 73.331,88 polnische Sloty.

Der Sohn der Klägerin T besuchte zunächst bis zum 31.08.2010 eine allgemeinbildende Schule in W. Anschließend studierte er ab dem Wintersemester 2010/11 an der Politechnika R. Am 12.04.2011 meldete der Sohn T seinen Wohnsitz ins Inland zur C-Straße 3, O um und bewarb sich bei der Zulassungsstelle O zum Wintersemester 2011/12 um einen inländischen Studienplatz in dem Studiengang Zahnmedizin.

Für ihren Sohn T bezog die Klägerin zunächst sogenanntes Differenzkindergeld, dessen Bewilligung die vormals zuständige Familienkasse O mit Bescheid vom 18.06.2010 mit Ablauf des Monats August 2010 aufhob.

Eine von der Politechnika R am 09.12.2010 ausgestellte und bei ihr von der Klägerin am 15.12.2010 vorgelegte Studienbescheinigung legte die Familienkasse O als Antrag der Klägerin auf Gewährung von Kindergeld für den Sohn T ab September 2010 aus. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse jedoch mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 21.10.2010 ab.

Zur Begründung führte die Familienkasse O aus, der Kindesvater habe den gemeinsamen Sohn T in seinen Haushalt aufgenommen. Deshalb stünde diesem der vorrangige Anspruch auf Kindergeld für T nach Maßgabe des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG zu. Sei danach ein Elternteil der Kindergeldberechtigte, der selbst nicht den deutschen Rechtsvorschriften unterliege, sei nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10.10.1996, Rechtsache C-245/94 – Hoever/Zachow; Urteil vom 07.06.2005, Rechtsache C-543/03 – Dodl/Oberhollenzer und Urteil vom 07.07.2005, Rechtssache C-153/03 – Weide, verheiratete Schwarz) dennoch ihm das Kindergeld zu zahlen.

Hiergegen legte die Klägerin mit Telefax ihres Prozessbevollmächtigten vom 06.01.2011 Einspruch ein.

Nachdem die Klägerin während des laufenden Einspruchsverfahrens den Zuzug von T im April 2011 nach O und dessen Bewerbung um einen inländischen Studienplatz nachgewiesen hatte, setzte die Familienkasse O mit Bescheid vom 26.07.2011 zugunsten der Klägerin Kindergeld für T ab Mai 2011 fest.

Sodann wies die Familienkasse O mit Einspruchsentscheidung vom 13.09.2011 den verbliebenen Einspruch wegen der Kindergeldfestsetzung für T ab September 2010 als unbegründet zurück. Dabei hielt die Familienkasse an ihrer Rechtsauffassung fest, ein Kindergeldanspruch der Klägerin sei aufgrund des Umstandes, dass das Kind nicht im Haushalt der Klägerin in Deutschland, vielmehr im Haushalt des in Polen wohnhaften Vaters lebe bzw. gelebt habe, nicht begründet.

Ob die Vorschriften des deutschen Kindergeldrechts überhaupt anwendbar seien, bestimme sich im Verhältnis zu anderen Staaten der Europäischen Union (EU) nach den Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 [VO] und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung, der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 [DVO]. Nach den Durchführungsanweisungen zum über- und zwischenstaatlichen Recht sei das Kindergeld an denjenigen Elternteil zu zahlen, der gemäß § 64 EStG der Kindergeldberechtigte sei. Nach dem Urteil des EuGH vom 26.11.2009 in der Rechtssache C-363/08, ...

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