Entscheidungsstichwort (Thema)

Nach Abschluss des englischen Insolvenzverfahren bzw. Eintritt der Restschuldbefreiung vom FA erklärte Aufrechnung von aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Steuererstattungsforderungen mit ebenfalls vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Steuerschulden zulässig

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Erteilung einer „Discharge” nach englischem Recht hindert nicht die Befugnis des FA, Steuererstattungsansprüche, die bereits vor Eröffnung des englischen Insolvenzverfahrens begründet waren, gegen Steuerforderungen, die ebenfalls bereits vor Eröffnung des englischen Insolvenzverfahrens begründet waren, aufzurechnen. Art. 6 Abs. 1 EUInsVO sieht vor, dass die Befugnis eines Gläubigers, mit seiner Forderung gegen eine Forderung des Schuldners aufzurechnen, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt wird, wenn diese Aufrechnung nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht zulässig ist.

2. Der Anspruch auf eine Steuer bzw. eine Steuererstattung ist im insolvenzrechtlichen Sinne dann vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand, der zur Entstehung der Steuer führt, bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist. Steuererstattungsansprüche aufgrund von Steuervorauszahlungen entstehen im Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraumes die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung.

3. Die Vorschrift des § 94 InsO ist dahin zu verstehen, dass ein rechtskräftiger Beschluss über die Restschuldbefreiung gemäß § 301 InsO ein bei Eröffnung des Insolvenzverfahren bestehendes Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung unberührt lässt.

 

Normenkette

InsO §§ 335, 338, 94, 95 Abs. 1 S. 3, § 96 Abs. 1 Nr. 1; EUInsVO § 6 Abs. 1; AO §§ 47, 226 Abs. 1, § 218 Abs. 2; BGB §§ 387, 389

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 08.03.2017; Aktenzeichen VII R 13/15)

BFH (Beschluss vom 08.03.2017; Aktenzeichen VII R 13/15)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Finanzamt zu Recht Guthaben aus den Einkommensteuerveranlagungen 2007 und 2008 mit Einkommensteuerrückständen des Klägers aus den Jahren 1993 und 2000 verrechnet hat.

Mit Bescheid vom 11. Mai 2011 erfolgte im Rahmen der Änderungsvorschrift des § 164 Abs. 2 AbgabenordnungAO – die Festsetzung der Einkommensteuer 2007 in Höhe von 44.571 EUR. In Anbetracht der durch Steuerabzug vom Lohn geleisteten Zahlungen ergaben sich Überzahlungen von 4.835 EUR auf die Einkommensteuer, 600 EUR auf Zinsen und 265,73 EUR auf den Solidaritätszuschlag. Im Bescheid wurde angekündigt, dass über die Verwendung der Guthaben eine besondere Mitteilung erfolgen werde.

Ebenfalls mit Bescheid vom 11. Mai 2011 wurde die Einkommensteuer 2008 festgesetzt. Auch hier ergaben sich Überzahlungen in Höhe von 11.314 EUR auf die Einkommensteuer, 735 EUR auf Zinsen und 622,17 EUR auf den Solidaritätszuschlag. Auch hier wurde darauf hingewiesen, dass über die Verwendung des Guthabens eine besondere Mitteilung ergehen werde.

Das Finanzamt trägt vor, es habe im Wege einer Umbuchungsmitteilung vom 18. Mai 2011 Aufrechnung gegen die Erstattungsansprüche des Klägers erklärt. In den Akten ist eine derartige Umbuchungsmitteilung nicht enthalten. Der Kläger wendet ein, er habe eine derartige Umbuchungsmitteilung nicht bekommen.

Auf Anfrage des Prozessvertreters mit Schreiben vom 2. November 2011 teilte die Finanzkasse mit Schreiben 24. November 2011 mit, dass die Guthaben mit Einkommensteuerrückständen und Steuerrückständen aus den Jahren 1993 und 2000 verrechnet worden seien und dem Kläger die entsprechenden Umbuchungsmitteilungen zugegangen sein sollten.

Hiergegen legte der Kläger am 12. Dezember 2011 Einspruch ein. Er wandte ein, sämtliche Steuerschulden, insbesondere auch solche aus den Jahren 1993 und 2000 seien aufgrund eines in Großbritannien durchgeführten Privatinsolvenzverfahrens mit anschließender Restschuldbefreiung weggefallen.

Als Belege für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens in London/England legte der Kläger im Verlauf des Abrechnungs-, Rechtsbehelfs und Klageverfahrens folgende Unterlagen vor:

  • • Kopie einer „Bankruptcy order on a debtors petition” (Verfügung auf einen Insolvenzantrag des Schuldners) mit der „No. 6100 of 2010” vom 5. Oktober 2010 vorgelegt, mit welcher festgestellt wurde, dass der Kläger insolvent sei.
  • • Des Weiteren wurde die Kopie eines „Certificate of discharge” datiert auf den 19. September 2014 vorgelegt, mit welcher bescheinigt wurde, dass der Kläger auf seine Insolvenz zum 5. Oktober 2011 „discharged” sei. Das Dokument ist mit einem Stempel des High Court of Justice, Bankruptcy Court mit dem Datum 19. November 2011 versehen. Ebenfalls vorgelegt wurde eine Beglaubigung (Apostille) vom 17. November 2011. Worauf sich die Apostille bezieht ist der Kopie nicht zu...

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