rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Innergemeinschaftliche Lieferung. Einfuhr in das Inland. Vertrauensschutz. Vertreter ohne Vertretungsmacht. Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Über die Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen entscheiden die Finanzämter, ohne an eine Beurteilung durch die Zollverwaltung im Rahmen deren Entscheidung über eine evtl. Steuerbefreiung bei der Einfuhr (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG) gebunden zu sein.

2. „Einfuhr” im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG ist die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne von Art. 29 AEUV befindet, in die Gemeinschaft. Diese erfolgt grundsätzlich dann „im Inland”, wenn sich der Gegenstand im Zeitpunkt des Verbringens in die Gemeinschaft dort befindet.

3. Der Begriff der „Einfuhr im Inland” setzt nicht voraus, dass der Gegenstand in den inländischen Wirtschaftskreislauf eingegangen ist.

4. Ein Spediteur, der als vollmachtloser Vertreter mit der Zollanmeldung den Antrag auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer gestellt hat, gehört nicht zum geschützten Personenkreis des § 6a Abs. 4 UStG.

5. Die Steuerschuldnerschaft für die Einfuhrumsatzsteuer setzt nicht das Innehaben der Verfügungsmacht über den eingeführten Gegenstand voraus.

 

Normenkette

UStG § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 6a Abs. 1, 4, § 21 Abs. 2; AEUV Art. 29; EGRL 112/2006 Art. 60; ZK Art. 5 Abs. 4, 2; EWGV 2913/92 Art. 5 Abs. 4; EWGV 2913/92 Art. 5 Abs. 2

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob der Beklagte (das Hauptzollamt – HZA) zu Recht Einfuhrumsatzsteuer festgesetzt hat.

Der Kläger ist seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 23. Oktober 2014 (…) Insolvenzverwalter über das Vermögen der X GmbH (…).

Die Insolvenzschuldnerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach österreichischem Recht (GmbH), die bis zum Jahr 2014 eine Spedition betrieb. Ihre deutsche Zweigniederlassung meldete am 07. November 2011 auf Veranlassung des türkischen Transporteurs im Rahmen des Zollverfahrens 42 46 Teppiche aus der Türkei zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr mit unmittelbar anschließender innergemeinschaftlicher Lieferung nach Frankreich beim Zollamt S an. Als Empfänger und Anmelder war die Y, A-Stadt, Frankreich (nachfolgend: Y), als Lieferbedingung „DDU frei unverzollt” angegeben. Die X GmbH trat als direkte Vertreterin und als sog. Fiskalvertreterin der Y auf. Sie hatte sich am Tag der Anmeldung, dem 07. Oktober 2011, vom österreichischen Bundesministerium für Finanzen bestätigen lassen, dass deren Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-ID): (…) gültig war. Der Zollanmeldung beigefügt waren zwei an die Y gerichtete Handelsrechnungen vom 27. Oktober und 02. November 2011, die einen Warengesamtwert von 65.550 EUR auswiesen. Ein ausdrücklicher Hinweis auf eine Steuerfreiheit oder ein Steuerausweis findet sich in den Handelsrechnungen nicht.

Das Zollamt nahm die Zollanmeldung am 10. November 2011 an, beließ die Waren in einer nicht abschließenden Festsetzung zunächst zoll- und einfuhrumsatzsteuerfrei und verlangte die Vorlage eines Frachtbriefes mit Firmenstempel und Originalunterschrift des Empfängers.

Am 02. Dezember 2011 reichte die X GmbH eine auf sie lautende, am 07. Oktober 2011 ausgestellte Vollmacht in französischer Sprache ein, auf der ein Stempel mit den Kontaktdaten der Y und eine unleserliche Unterschrift angebracht sind. Die Absenderkennung wies als Faxdatum den 06. November 2011 und als Absenderfax die Bezeichnung „Cyber (…)” sowie eine vom Firmenstempel abweichende Faxnummer aus. Als Kontaktperson war handschriftlich der Name „A” mit einer Mobilfunknummer angegeben.

Ermittlungen des HZA zufolge war die Y am 29. April 2010 gegründet worden und befand sich seit 21. April 2011 in Liquidation. Ehemaliger Geschäftsführer der Y war AH. Der gerichtlich bestellte Liquidator konnte zum streitgegenständlichen Vorgang keine Angaben machen.

Das HZA vertrat die Auffassung, dass die zu dieser Zeit bereits in Liquidation befindliche Y im Oktober 2011 keine wirksame Vollmacht mehr ausstellen habe können. Die X GmbH habe deshalb als Vertreterin ohne Vertretungsmacht gehandelt und gelte gemäß Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Verordnung – EWG – Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK) als in eigenem Namen und für eigene Rechnung handelnd. Weil die Voraussetzungen für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nicht vorgelegen hätten, setzte es mit Abgabenbescheid vom 12. April 2012 Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) von 12.454,50 EUR gegen die X GmbH fest. Hiergegen legte die X GmbH Einspruch ein.

Bei weiteren Ermittlungen durch den Geschäftsführer der X GmbH bzw. durch das Zollfahndungsamt stellte sich heraus, dass die streitgegenständlichen Waren im Auftrag des türkischen Verkäufers V durch die Fa. T über den Landweg von Istanbul nach Frankreich transportiert und bei de...

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