Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Herabsetzung des Höchstbetrags für die Tarifermäßigung für außerordentliche Einkünfte zum 1.8.1997 verfassungsgemäß. Vertrauensschutz in den Fortbestand der Vorgängerregelung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. An der Verfassungsmäßigkeit des § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 bestehen keine Zweifel.

2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vertrauenstatbestandes ist der Zeitpunkt der wirtschaftlichen Disposition des Steuerpflichtigen im Sinne einer rechtlichen Bindung. Bei Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung an einer GmbH ist dies der Abschluss des notariellen Vertrages.

3. Das Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Fortbestand der Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG 1997, nach dem außerordentliche Einkünfte bis zu einem Höchstbetrag von 30 Mio. DM mit dem ermäßigten Einkommensteuersatz besteuert wurden, war nicht mehr schutzwürdig, wenn der notarielle Vertrag über die Veräußerung der wesentlichen Beteiligung geschlossen wurde, nachdem der Vermittlungsausschuss die Herabsetzung des Höchstbetrages rückwirkend zum 1.1.1997 auf 15 Mio. DM vorgeschlagen und der Bundestag diesem Vorschlag zugestimmt hatte. Darauf, dass bei Vertragsabschluss die Zustimmung des Bundesrats und die Verkündung des Gesetzes noch ausstanden, kommt es nicht an.

 

Normenkette

EStG 1997 § 34 Abs. 1 S. 2, § 17 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 26.01.2011; Aktenzeichen IX R 81/06)

 

Tenor

1 Die Klage wird abgewiesen.

2 Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3 Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I. Die Kläger werden mit ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb, selbständiger und nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung und sonstigen Einkünften beim Finanzamt München IV zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

In der Einkommensteuererklärung 1997 erklärte der Kläger einen Gewinn aus der Veräußerung von GmbH-Anteilen in Höhe von 16.425.917 DM. Die Veräußerung der Anteile wurde am 25.08.1997 notariell beurkundet. Der Beklagte (das Finanzamt) unterwarf diesen Gewinn im unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid 1997 vom 22.03.2000 bis zur Höhe von 15.000.000 DM einem ermäßigten Steuersatz von 26,375% und besteuerte den darüber hinaus gehenden Betrag mit dem normalen Steuersatz.

Hiergegen wandten sich die Kläger mit dem Einspruch und führten aus, der Veräußerungsgewinn sei insgesamt ermäßigt zu besteuern, da der Vermittlungsausschuss des Deutschen Bundestages erst am Tag der notariellen Beurkundung beschlossen habe, die Begünstigungsgrenze für Veräußerungsgewinne nach § 34 Einkommensteuergesetz (EStG) von 30 Mio. DM auf 15 Mio. DM herabzusetzen. Das entsprechende Gesetz sei erst am 29.10.1997 verkündet worden und entfalte eine verfassungsrechtlich verbotene Rückwirkung. Mitte März 1997 habe die Presse verkündet, dass der Bundesfinanzminister entgegen der bisherigen Erwartungen die steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen nicht schon im Jahr 1997, sondern wohl erst 1999 ändern wolle. Daraufhin seien die Verkaufsverhandlungen forciert worden, und für den Kläger sei es von großer Bedeutung gewesen, dass der gesamte Veräußerungsgewinn dem ermäßigten Steuersatz unterworfen werden würde. Die rückwirkende Begrenzung des ermäßigten Steuersatzes sei erst während der Beurkundung bekannt geworden, der Verkauf sei zu diesem Zeitpunkt ohne Verletzung der Käuferinteressen nicht mehr zu stoppen gewesen. Der Beklagte hob den Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheid vom 17.10.2003 auf und wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 23.07.2004 zurück. Eine unzulässige Rückwirkung liege nicht vor, da die Einkommensteuer erst mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums entstehe.

Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei auch während des Veranlagungszeitraums eine rückwirkende Verschärfung der Besteuerungstatbestände nur bei Vorliegen einer besonderen Rechtfertigung möglich. Bei der unechten Rückwirkung bzw. der tatbestandlichen Rückanknüpfung unterliege der Gesetzgeber zwar weniger starken Beschränkungen als bei einer echten Rückwirkung, jedoch sei das Vertrauen des Steuerpflichtigen auch in diesen Fällen schutzbedürftig. Zum Zeitpunkt der Beurkundung des Anteilsverkaufs seien nach geltendem Recht außerordentliche Einkünfte bis 30 Mio. DM dem ermäßigten Steuersatz unterworfen worden. Neue Vorschläge des Vermittlungsausschusses seien dem Gesetzgeber noch nicht zuzuordnen. Der Bundesrat habe seine Zustimmung zum Beschluss des Vermittlungsausschusses, die Ermäßigung auf außerordentliche Einkünfte bis 15 Mio. DM zu begrenzen, erst am 05.09.1997 erteilt. Erst zu diesem Zeitpunkt sei das Gesetz formal gemäß Art. 78 Grundgesetz zustande gekommen, es sei erst mit Verkündung am 29.10.1997 in Kraft getreten. Folglich seien die gesamten Planungen und wirtschaftlichen Dispositionen sowie ...

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