Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe beziehendes Kind. Nachrangprinzip der Sozialhilfe. Erstattung von Kindergeld an den Sozialleistungsträger

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Dem Kind ohne Anrechnung von Kindergeld ausgezahlte Hilfe zum Lebensunterhalt ist eine dem Kindergeld zweckidentische Leistung.

2. Als Steuervergütung gezahltes Kindergeld ist eine der Sozialhilfe vorrangige Leistung, und zwar auch, soweit das Kindergeld der steuerlichen Freistellung des Einkommens in Höhe des Existenzminimums des Kindes dient.

3. Bezieht das Kind Sozialhilfe ohne Anrechnung von Kindergeld, ist das Kindergeld dem gegenüber dem Kindergeldberechtigten nachrangig verpflichteten Leistungsträger zu erstatten.

 

Normenkette

EStG 2002 § 74 Abs. 2, § 31 Abs. 3, § 32 Abs. 6; SGB X § 104; BSHG § 91

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 19.06.2008; Aktenzeichen III R 89/07)

BFH (Urteil vom 19.06.2008; Aktenzeichen III R 89/07)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Erstattung von Kindergeld nach § 74 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) i. V. m. § 104 Sozialgesetzbuch (SGB) X für die Tochter A (geb. am 14. Juli 19XX) der Klägerin für den Zeitraum Januar 2003 bis einschließlich März 2004 an die Landeshauptstadt B, Sozialreferat (die Beigeladene).

A befand sich bis 30. März 2003 in einer Ausbildung zur Heilpraktikerin, nebenbei bewarb sie sich – zunächst erfolglos – um einen Studienplatz an einer Fachhochschule. Auf den Antrag der Klägerin vom 12. Januar 2004 setzte das Landesamt für Finanzen (ehemals Bezirksfinanzdirektion, Bezügestelle Arbeitnehmer), Dienststelle B – Familienkasse –, (der Beklagte) mit Bescheid vom 22. März 2004 Kindergeld für A ab Januar 2003 fest.

Ausweislich der mit Schriftsatz vom 4. September 2007 vorgelegten Unterlagen hat die Klägerin im streitigen Zeitraum für ihre Tochter A Aufwendungen für eine zahnärztliche Zusatzversicherung, für die Haftpflicht- und Hausratsversicherung sowie die Abschlagzahlungen für Strom und Gas und im Jahr 2004 die Nebenkostennachzahlung für die von A in der C-Str. 25 in B angemietete Wohnung getragen. Nach den vorgelegten Einkommensteuerbescheiden der mit ihrem Ehemann zusammenveranlagten Klägerin erfolgte die steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes in den Jahren 2003 und 2004 durch das ausgezahlte Kindergeld.

Die Beigeladene gewährte A und ihrem nichtehelichen Sohn Janis (geb. am 31. Oktober 2002) im streitigen Zeitraum ohne Anrechnung von Kindergeld monatlich Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Höhe von 688,60 EUR (Januar bis Juni 2003), 692,40 EUR (Juli bis Dezember 2003), 694,09 EUR (Januar und Februar 2004) sowie 592,09 EUR (März 2004) jeweils zuzüglich eines monatlichen Mietzuschusses von 163 EUR. Mit Schreiben vom 16. März 2004 machte die Beigeladene gegenüber dem Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung i. V. m. § 104 SGB X hinsichtlich des Kindergelds für A ab Januar 2003 geltend und beantragte die Auszahlung des Kindergelds an sich.

Die Familienkasse zahlte das Kindergeld für A für den Zeitraum Januar 2003 bis März 2004 in Höhe von (15 Monate × 154 EUR =) 2.310 EUR an die Beigeladene aus und informierte die Klägerin hierüber mit Schreiben vom 22. März 2004. Ab April 2004 wurde das Kindergeld fortlaufend an die Klägerin ausbezahlt. Unter dem Datum vom 19. August 2004 erließ die Familienkasse einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abgabenordnung (AO), in dem der Kindergeldanspruch der Klägerin für A für den Zeitraum Januar 2003 bis März 2004 aufgrund der Erstattung an die Landeshauptstadt B gemäß § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt angesehen wurde. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg (vgl. Einspruchsentscheidung vom 3. März 2005).

Mit der vorliegenden Klage wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die Erstattung des Kindergelds für A an die Beigeladene. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Auszahlung des Kindergelds an die Beigeladene rechtswidrig sei. Da sie und ihr Ehemann mit der Tochter A und dem Enkelkind Janis nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebten, stünden der Beigeladenen keine Ansprüche gegen sie zu. Dies ergebe sich aus § 91 Abs. 1 BSHG in Verbindung mit weiteren Bestimmungen im BSHG sowie im SGB. § 91 BSHG diene der Durchsetzung des Nachrangprinzips von Sozialhilfe. Durch diese sozialhilferechtliche Sonderregelung habe der Gesetzgeber, unabhängig von der Leistungsfähigkeit bzw. tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen seitens der Eltern, bewusst auf ein Rückgriffsrecht verzichtet. Das fehlende Rückgriffsrecht könne nicht durch die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach § 74 Abs. 2 EStG umgangen werden. Die zur Abzweigung von Kindergeld nach § 74 Abs. 1 EStG ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei daher nicht auf Erstattungen nach § 74 Abs. 2 EStG zu übertra...

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