Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungskonforme Auslegung der Abfärberegelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. EStG bei Bezug gewerblicher Beteiligungseinkünfte

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine vermögensverwaltende Personengesellschaft, die lediglich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt und nur kraft der Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. EStG 2007 als Gewerbebetrieb gilt, weil sie an einer gewerblich tätigen anderen Personengesellschaft beteiligt ist, unterliegt mit ihren – nach Kürzung um die gewerblichen Beteiligungseinkünfte gemäß § 9 Nr. 2 GewStG – verbleibenden originär nicht gewerblichen Einkünfte nicht der Gewerbesteuer; insoweit ist § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG verfassungskonform auszulegen. Ansonsten würden infolge der Umqualifizierung sämtlicher Einkünfte der Gesellschaft in solche aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. EStG 2007 der von der Personengesellschaft insgesamt erzielte Gewinn der Gewerbesteuer unterfallen und auch an sich nicht gewerbliche Einkünfte mit Gewerbesteuer belastet (Anschluss an BFH, Urteil vom 06.06.2019, IV R 30/16, BFHE 265, 157).

2. Für die durch die Abfärberegelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. EStG ausgelösten gewerbesteuerrechtlichen Folgen gibt es – anders als im Fall des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG – keine hinreichend gewichtigen Gründe, die die erhebliche Schlechterstellung von Personengesellschaften gegenüber Einzelunternehmern rechtfertigen könnten.

3. In der rückwirkenden Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 2. Alt. i.V.m. § 52 Abs. 32a EStG i.d.F. des JStG 2007 auf Jahre vor 2006 liegt kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber mit dieser Neufassung des Gesetzes die vor der Rechtsprechungsänderung durch BFH-Urteil vom 06.10.2004, IX R 53/01, BFHE 207, 466 geltende Rechtsprechung und Rechtspraxis rückwirkend gesetzlich verankert hat. Es ist dem Gesetzgeber auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor der Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach.

 

Normenkette

GewStG § 2 Abs. 1 S. 2; EStG 2007 § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 05.09.2023; Aktenzeichen IV R 24/20)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Tätigkeit der Klägerin nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 – EStG 2007 – i.V.m. § 52 Abs. 32a EStG 2007 ab dem Jahr 1995 aufgrund des Bezugs von Einkünften aus der Beteiligung an der P GmbH & Co. KG – im Folgenden: P KG – in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt.

1. Grundstückserwerb durch die Klägerin

Mit notariellem Vertrag vom ….1994, UR-Nr. 1/1994, erwarben die Gesellschafter der Klägerin in Gesellschaft bürgerlichen Rechtes eine teilweise bebaute Grundstücksfläche von ca. 63.000 m² in M. An der damit begründeten GbR waren Frau R-G1, vormals R, als Rechtsvorgängerin ihres Sohnes G, zu 50 % und die Herren W und W1 zu jeweils 25 % beteiligt. Die erworbenen Grundstücke wurden zum ganz überwiegenden Teil an die R Handelsgesellschaft mbH & Co KG (im Folgenden: R KG) vermietet, an der Frau R-G1 zu 25 % als Kommanditistin beteiligt war. Weiterhin wurden Teilflächen von 2000 m² und 2370 m² mit Vertrag vom ….1995 zu einem Pachtzins von 11.555 DM netto an die P KG vermietet. Die restlichen Grundstücksteilflächen wurden an fremde Dritte vermietet. Mit Vertrag vom ….2004 erwarben auch die weiteren Gesellschafter W1 und W im Wege der vorweggenommenen Erbfolge jeweils 10 % der Anteile an der R KG. Mit Wirkung zum 01.01.2006 erhöhte schließlich Frau R-G1 ihren Anteil an der R KG auf 50 %.

2. Beteiligung an der P KG

Mit Schreiben vom 12.04.1995 übersandte der in Q ansässige Notar U dem klägerischen Gesellschafter W den Entwurf des Gesellschaftsvertrages für die Gründung der P1 GmbH (im Folgenden: P1 GmbH) und den Entwurf der Handelsregisteranmeldung der P KG zur Kenntnisnahme und Überprüfung. Dabei wies er darauf hin, dass er in dem Entwurf der Handelsregisteranmeldung vorgesehen habe, dass die Kommanditanteile anteilig von den Gesellschaftern der Klägerin übernommen werden, da eine GbR nicht Kommanditist sein könne. Demgemäß wurde die Handelsregisteranmeldung am ….1995 in der Weise notariell beurkundet, dass neben der P1 GmbH als Komplementärin und 7 weiteren Kommanditisten die Gesellschafter der Klägerin selbst mit Anteilen von 60.000 DM (R-G1) bzw. jeweils 30.000 DM (W1 und W) als Kommanditisten angemeldet wurden (UR.-Nr. 2/1995). Entsprechend dieser Anmeldung wurde die P KG am ….1995 in das Handelsregister des Amtsgerichts Q (HRA 3) eingetragen.

In dem Gesellschaftsvertrag der P1 GmbH vom ….1995 wurde unter § 3 folgende Regelung zum Anteilsbesitz getroffen:

„(1) Das Stammkapital beträgt 50.000,-DM, (Fünfzigtausend Deutsche Mark).

(2) An dem Stammkapital sind beteiligt:

e) aa) Frau R, … in Q,

bb) Herr W, … in Q,

cc) Herr W1, …in Q,

in Gesellschaft bürgerlichen Rechts unter der Bezeichn...

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