Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristwahrender Einwurf einer Steuererklärung beim unzuständigen Finanzamt

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Einwurf einer Steuererklärung (hier eines Antrags auf Veranlagung zur ESt nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG) am letzten Tag der Antragsfrist ist auch dann fristwahrend und führt zur Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO, wenn die Erklärung bei einem unzuständigen Finanzamt abgegeben wird.

 

Normenkette

AO § 171 Abs. 3; EStG § 46 Abs. 2 Nr. 8; AO § 169 Abs. 2 Nr. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 13.02.2020; Aktenzeichen VI R 38/17)

BFH (Urteil vom 13.02.2020; Aktenzeichen VI R 38/17)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob ein Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer 2009 nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) fristwahrend durch Einwurf bei einem örtlich unzuständigen Finanzamt gestellt wurde.

Die Klägerin warf ihre Einkommensteuererklärung 2009 sowie die Erklärung ihres heutigen Ehemanns am 31.12.2013 gegen 20.00 Uhr beim Finanzamt R in den Nachtbriefkasten. Hierin erklärte die Klägerin ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie Einnahmen als Kapitalvermögen unterhalb der Freibeträge und die hierauf entfallenden Steuerabzugsbeträge (13,86 € Kapitalertragsteuer, 0,75 € Solidaritätszuschlag). Die Klägerin wohnte zu diesem Zeitpunkt im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts R1. Die Erklärung ging erst im Jahr 2014 dort ein.

Mit Verfügung vom 18.2.2014 lehnte der Beklagte die Veranlagung ab, da der Antrag nicht innerhalb der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) gestellt worden sei.

Den hiergegen erhobenen Einspruch wies der Beklagte mit Entscheidung vom 14.5.2014 als unbegründet zurück. Die Festsetzungsfrist habe am 31.12.2013 geendet. Es lägen auch keine Umstände vor, die zu einer Hemmung der Festsetzungsfrist führen würden. Auch komme keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht, da § 110 AO nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 24.1.2008 VII R 3/07) nicht auf den Ablauf der Festsetzungsfrist anwendbar sei.

Mit der hiergegen am 13.6.2014 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Veranlagungsbegehren fort. Sie und ihr heutiger Ehemann seien am Silvesterabend auf einer privaten Feier in K eingeladen gewesen. Von ihrem gemeinsamen Wohnort in R2 seien sie zunächst in Richtung R3 gefahren, um sodann über den … Verteiler auf die Autobahn Richtung G und schließlich über die Autobahn nach K zu gelangen. Da sich das Finanzamt R quasi auf dem Weg befunden habe, hätte man sich kurzerhand entschlossen, die Einkommensteuererklärung dort einzuwerfen. Sie – die Klägerin – sei davon ausgegangen, dass es keine entscheidende Rolle spiele, bei welchem Finanzamt in R die Erklärung eingeworfen werde, solange dies fristwahrend noch am 31.12.2013 erfolge. Ihres Erachtens handele es sich bei den Finanzämtern R1 und R lediglich um zwei Liegenschaften der Finanzverwaltung NRW. Dies werde auch dadurch dokumentiert, dass Briefumschläge beider Finanzämter lediglich „Finanzverwaltung NRW” als Absender ausweisen. Schließlich verweist die Klägerin auf H 46.2 der Einkommensteuerrichtlinien, wo unter dem Stichwort „rechtswirksamer Antrag” ausgeführt werde, dass ein Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer innerhalb der allgemeinen Festsetzungsfrist beim Finanzamt eingehen müsse. Hierdurch schaffe die Finanzverwaltung einen Vertrauenstatbestand.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 18.02.2014 und der Einspruchsentscheidung vom 14.05.2014 den Beklagten zu verpflichten, die Veranlagung zur Einkommensteuer 2009 durchzuführen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass ein Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nur beim zuständigen Wohnsitzfinanzamt nach § 19 Abs. 1 AO fristwahrend gestellt werden könne. Eine Antragstellung beim unzuständigen Amt reiche dann nicht aus, wenn der Antrag nicht mehr vor Fristablauf an das zuständige Amt weitergeleitet werde.

Hinsichtlich des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 23.05.2017 verwiesen und Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

I.

Der Beklagte ist nach § 25 Abs. 1 EStG verpflichtet, die Veranlagung der Klägerin zur Einkommensteuer 2009 durchzuführen. Denn die Klägerin hat durch Einwerfen ihrer Steuererklärung am 31.12.2013 beim Finanzamt R innerhalb der Festsetzungsfrist wirksam einen Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG gestellt, der den Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3 AO hemmt.

1.

Der Beklagte ist durch § 25 Abs. 1 EStG verpflichtet eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen und einen Steuerbescheid nach § 155 Abs. 1 AO zu erlassen, soweit ein Veranlagungsgrund nach § 46 Abs. 2 EStG vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 09.07.1959 IV 209/58 U, BFHE 69, 225, BStBl III 1959, 348). Zwar trifft die Klägerin, die nur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezog, keine Erklärungspflicht nach § 56 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) i.V.m. § 46 Abs. ...

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