Entscheidungsstichwort (Thema)

Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Zeitraum von 8 Monaten ist - im Einzelfall - ausreichend, um ein auf Dauer berechnetes familienähnliches Band zu den Pflegeeltern aufzubauen und das Nichtbestehen des Obhutsverhältnisses zu den leiblichen Eltern anzunehmen, wenn das Kind im Zeitpunkt der Inobhutnahme und Pflege durch die Pflegeeltern erst 18 Monate alt war, auch wenn das Kind bis dahin bei seinen leiblichen Eltern gelebt hat und weiterhin sporadische Besuche durch den leiblichen Vater erfolgen.

 

Normenkette

EStG § 63 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1, 1 Sätze 1, 1 Nr. 2, § 63 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin ist verheiratet. Sie hatte das Kind … (geboren 17.03.1999) am 29.09.2000 in Vollzeitpflege in ihren Haushalt aufgenommen. Die Mutter des Kindes war inhaftiert. Ende Mai 2001 wurde das o.g. Kind wieder der Kindesmutter übergeben. Vom Jugendhilfeträger erhielt die Klägerin nach eigenen Angaben ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 1.112,– DM. Die Klägerin beantragte beim Beklagten am 16.11.2000 Kindergeld für das Pflegekind. Dem Antrag beigefügt war eine Bescheinigung der Stadt … vom 10.11.2000, Bl. 92 der Kindergeldakte, und ein von der Klägerin ausgefüllter Fragebogen, Bl. 93. Mit Bescheid vom 23.11.2000 setzte der Beklagte das Kindergeld auf 0,00 DM monatlich fest mit der Begründung, es läge kein Pflegschaftsverhältnis vor. Mit ihrem Einspruch, Bl. 102, trug die Klägerin u.a. vor, dass das Kind in den Haushalt aufgenommen worden sei und in Vollzeit gepflegt werde. Eine Ummeldung auf ihre Adresse sei nicht erfolgt, weil eine Rückführung voraussichtlich im August 2001 zur leiblichen Mutter geplant sei.

Der Einspruch wurde mit Entscheidung vom 24.01.2001 zurückgewiesen, wobei der Beklagte die Ansicht vertrat, dass die nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG erforderliche Bindung auf mehrere Jahre angelegt sein müsse, um Kindergeld zu erhalten.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin weiterhin für o.g. Kind Kindergeld in Höhe von 300,00 DM monatlich.

Sie trägt vor, dass unstreitig das Obhuts- und Pflegeverhältnis des Kindes … zu seinen leiblichen Eltern aufgehoben und dieses in ihren Haushalt aufgenommen worden sei. Dadurch sei die Einflußnahme der leiblichen Eltern auf die Erziehung des Kindes gänzlich unterbunden. Der Grund hierfür liege darin, dass die Kindesmutter eine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt … verbüsse. Das Pflegeverhältnis sei deshalb ursprünglich bis Juni 2001 geplant gewesen, eine Rückführung zur Mutter sollte aber erst erfolgen, wenn dieser auch wieder eine Wohnung zur Verfügung stehen würde. Sie sei im Frühjahr 2001 vom Jugendamt unterrichtet worden, dass die Haftstrafe der Mutter möglicherweise verlängert würde. Im Mai sei dann aber wegen frühzeitiger Entlassung das Pflegeverhältnis überraschend beendet worden.

Gelegentliche Besuche zwischen dem Kind und dem Kindesvater seien ohne Bedeutung, dadurch werde das Obhuts- und Pflegeverhältnis nicht wieder hergestellt.

Das Kind … halte sich durchgehend in ihrer Familie auf und werde dort versorgt. Das Kind sei daher mit der Aufnahme in den Haushalt am 29.09.2000 als Pflegekind anzusehen. Soweit der Beklagte davon ausgehe, dass ein Pflegeverhältnis nur bei einer beabsichtigten Dauer von mindestens 2 Jahren anzuerkennen sei, sei dies unzutreffend. Dem Wortlaut des § 32 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz selbst könne auch nicht entnommen werden, dass ein Pflegekindschaftsverhältnis nur dann anzuerkennen sei, wenn die Unterbringung des Kindes von mindestens 2 Jahren beabsichtigt sei. Zwar könne die Zeitspanne von 2 Jahren als Anhaltspunkt dienen, um das Merkmal „längere Dauer” zu konkretisieren, andererseits komme es bei der Prüfung, ob ein Pflegekindschaftsverhältnis vorliege, stets auf die Gesamtumstände des Einzelfalles an. Zudem lasse der Beklagte bei seiner Betrachtungsweise ausser Acht, dass die Erziehungshilfe durch Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie neben dem Erziehungsanspruch des Kindes grundsätzlich zum Ziel habe, das Kind langfristig wieder in die Familie der leiblichen Eltern einzugliedern. Ein Pflegekindschaftsverhältnis sei daher – im Gegensatz zur Volladoption – schon dem Grunde nach nie (von Ausnahmefällen abgesehen) auf Dauer angelegt. Insoweit könne es keinen Unterschied machen, ob das Pflegschaftsverhältnis von vornherein auf einen Zeitraum von mindestens 2 Jahre angelegt war, sich aber innerhalb dieses Zeitraumes eine Rückführung des Kindes in den elterlichen Haushalt ergebe oder ob das Pflegschaftsverhältnis zu Beginn auf weniger als 2 Jahre angelegt war, und sich alsdann innerhalb dieser Zeit ein längerfristiger Aufenthalt in der Pflegefamilie ergebe. Insoweit sei die Bindung des Kindergeldanspruches an einen von vornherein festgelegten 2-Jahres-Zeitraum insbesondere für die letzt genannten Fälle eine unangemessene Benachteiligung.

Die hier angegriffenen Entscheidungen liessen zudem eine Überprüfung des Einzelfalles vermissen, denn der Beklagte sei ohne weitere Am...

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