Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtswidriger Verwaltungsakt; Rücknahme; Verspätungszuschläge

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes steht im Ermessen der Finanzbehörde. Erlischt eine Gesellschaft durch Verschmelzung, so ist bei einem Antrag auf Rücknahme von Verspätungszuschlägen in die Ermessenserwägungen mit einzubeziehen, dass der Steuerpflichtige, der die Verspätung verschuldet hat, nicht mehr durch Festsetzung von Verspätungszuschlägen zu einer rechtzeitigen Abgabe von Erklärungen angehalten werden kann.

 

Normenkette

AO § 130 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 23.09.2009; Aktenzeichen XI R 56/07)

BFH (Urteil vom 23.09.2009; Aktenzeichen XI R 56/07)

 

Tatbestand

Die M-KG betrieb ein Unternehmen für Großbautenreinigung. Zum 01.01.1995 ist die Klägerin durch Verschmelzung Rechtsnachfolgerin der M-KG geworden. Da die M-KG die monatlichen Lohnsteuer- und Umsatzsteuervoranmeldungen für Juni bis September 1994 (Lohnsteuer) bzw. Mai bis August 1994 (Umsatzsteuer) verspätet abgab, setzte der Beklagte folgende Verspätungszuschläge fest:

Voranmeldung

Festsetzungsdatum

Verspätungszuschlag

Umsatzsteuer 5/1994

22.09.1994

10.000,00 DM

Umsatzsteuer 6/1994

21.09., 03.11.1994

8.980,00 DM

Umsatzsteuer 7/1994

19.10.1994

10.000,00 DM

Umsatzsteuer 8/1994

18.11.1994

10.000,00 DM

Lohnsteuer 6/1994

30.09.1994

4.460,00 DM

Lohnsteuer 7/1994

20.09., 21.10.1994

4.560,00 DM

Lohnsteuer 8/1994

28.11.1994

7.720,00 DM

Lohnsteuer 9/1994

28.11.1994

7.410,00 DM

63.130,00 DM.

Diese Bescheide ergingen jeweils mit Rechtsmittelbelehrung.

Die Vertreterin des Beklagten erklärte in der mündlichen Verhandlung am 21. April 2005, dass die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Festsetzungen bezüglich der Verspätungstage und der Höhe der festgesetzten Verspätungszuschläge nicht mehr ermittelt werden könnte, da weder der damalige Sachbearbeiter noch die Unterlagen hierüber vorhanden seien.

Gegen die Festsetzung der Verspätungszuschläge zu den Umsatzsteuervoranmeldungen Mai und August 1994 sowie den Lohnsteueranmeldungen Juni bis September 1994 legte die Klägerin bzw. die KG keinen Rechtsbehelf ein. Gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuervoranmeldung Juni 1994 vom 21.09.1994 (10.000,00 DM) erhob die KG am 26.10.1994 Einspruch. Nachfolgend wurde der Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuervoranmeldung Juni 1994 mit Bescheid vom 03.11.1994 auf 8.980,00 DM herabgesetzt. Die gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags wegen verspäteter Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung Juli 1994 eingelegte Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion mit Beschwerdeentscheidung vom 28.09.1995 als unbegründet zurück.

Mit Schreiben vom 08.12.1995 beantragte die Klägerin, die Verspätungszuschläge gemäß § 131 Abs. 1 AO zu widerrufen. Zur Begründung trug sie vor, dass die Festsetzung der Verspätungszuschläge auf fehlerhafter Ermessensausübung beruhe. Da sie bei Eintreibung der festgesetzten Verspätungszuschläge in existenzbedrohende Zahlungsschwierigkeiten geraten und dies das zwischenzeitlich wieder beanstandungsfreie Abgabeverhalten gefährden würde, werde dem Ermessenszweck durch Rücknahme der Verspätungszuschläge besser entsprochen. Mit Bescheid vom 06.03.1996 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab.

Gegen diese ohne Rechtsbehelfsbelehrung ergangene Entscheidung vom 06.03.1996 legte die Klägerin mit Schreiben vom 20.01.1997 (Eingang 21.01.1997) Einspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass die Firma M-KG im Jahre 1994 mit einem Verlust in Höhe von rund 700.000,00 DM abgeschlossen habe. Dies beruhe auf einem Umsatzeinbruch von rund 4 Mio. DM. Ohne neue Gesellschafter, die Zuführung neuen Kapitals und einen Kapitalschnitt wäre die M-KG Ende 1994 konkursreif gewesen. Damit sei eine konkrete Existenzgefährdung gegeben gewesen. Aufgrund dieser Situation sei der mit der Bearbeitung der steuerlichen Pflichten beauftragte Prokurist der M-KG an einer pünktlichen Wahrnehmung der Steuerangelegenheiten gehindert gewesen. Aufgrund der existentiellen Krise hätten zunächst alle Personalkräfte in die Rettung und Sanierung des Unternehmens eingebunden werden müssen. Unverständlich sei, dass aufgrund dieser Begründung einerseits die Verspätungszuschläge für die Umsatzsteuervoranmeldungen ab 9/1994 und Lohnsteueranmeldungen ab 10/1994 erlassen worden seien, anderseits aber für die streitbefangenen Zeiträume an den Festsetzungen festgehalten werde.

Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens nicht nach der Höhe des Umsatzes, sondern nach dem erzielten Gewinn richte. Die Außerachtlassung der existenzbedrohlichen Verlustsituation im Jahre 1994 stelle eine ermessensfehlerhafte Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei der Bemessung der Höhe der Verspätungszuschläge dar. Die Verspätungszuschläge seien bezüglich der Umsatzsteuervoranmeldungen in drei von vier Fällen an der gesetzlich zulässigen Höchstgrenze von 10.000,00 DM und in einem Fall nur unwesentlich darunter festgelegt worde...

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