Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsnatur der Kindergeldfestsetzung, Verböserung, Aufhebung fehlerhafter Bescheide nach § 174 Abs. 2 AO, zehnjährige Verjährungsfrist wegen Hinterziehung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der Festsetzung von Kindergeld handelt es sich um einen teilbaren Verwaltungsakt, der für einzelne Monate aufgehoben werden, für andere Monate hingegen bestehen bleiben kann. Von daher ist bei einem Einspruch gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für einen Zeitraum die weitergehende Rückforderung von Kindergeld für einen anderen Zeitraum auch ohne Verböserungshinweis zulässig.

2. Bei einem doppelten Bezug von Kindergeld, der auf einen unrichtigen Antrag oder eine unzutreffende Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist, kann der fehlerhafte Bescheid nach § 174 Abs. 2 AO geändert werden.

3. Beantragt der Steuerpflichtige zunächst bei der Familienkasse Kindergeld, erklärt dabei wahrheitswidrig, seine Ehefrau sei nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt und stellt er sodann beim zuständigen LBV einen weiteren Kindergeldantrag und erklärt dort, bei keiner anderen Familienkasse einen Kindergeldantrag gestellt zu haben, ist der Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO mit der Folge der zehnjährigen Verjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO erfüllt.

 

Normenkette

AO § 174 Abs. 2, § 367 Abs. 2, §§ 370, 169 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten jetzt noch darüber, ob die zehnjährige Verjährungsfrist für die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung wegen eines Hinterziehungstatbestands anzunehmen ist.

Der Kläger ist Ingenieur und im öffentlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Er ist der Vater des im Februar 1997 geborenen Kindes O. In dem an die Beklagte gerichteten Kindergeldantrag vom 12. Februar 1997 verneinte der Kläger die von der Familienkasse formularmäßig gestellte Frage, ob er oder seine Ehefrau im öffentlichen Dienst beschäftigt seien. In der Folgezeit wurde dem Kläger antragsgemäß das Kindergeld für seinen Sohn bewilligt und von der Beklagten seit dem Monat Februar 1997 ausbezahlt.

Mit einem am 3. März 1997 beim LBV eingegangenen Antrag hatte der Kläger außerdem bei seinem öffentlichen Arbeitgeber Kindergeld beantragt und dabei wahrheitswidrig die dort gestellte Frage verneint, ob er bereits bei einer anderen Familienkasse einen Kindergeldantrag gestellt habe (Kindergeld-Akte, Bl. 20). Anschließend wurde ihm auch vom LBV laufend das beantragte Kindergeld ausgezahlt, und zwar ebenfalls ab Februar 1997.

Aufgrund einer Mitteilung des LBV vom 7. Juli 2008 wurde der Beklagten bekannt, dass der Kläger für die Monate Februar 1997 bis Juli 2008 sowohl bei der Beklagten als auch bei seinem öffentlichen Arbeitgeber Kindergeld für seinen Sohn bezogen hatte. Mit Bescheid vom 10. September 2008 forderte die Beklagte vom Kläger unter Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Februar 2007 bis Juli 2008 zunächst einen Betrag von … EUR zurück. Mit seinem Einspruch machte der Kläger geltend, weder er noch seine Ehefrau hätten bei der Beklagten einen Antrag auf Kindergeld gestellt. Zahlungen von seiten der Beklagten seien dem Kläger nicht bekannt. Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens wurde dem Kläger mit Schreiben vom 15. Oktober 2008 (Kindergeld-Akte, Bl. 33) mitgeteilt, dass er als Angehöriger des öffentlichen Dienstes von Anfang an keinen Kindergeldanspruch gegenüber der Beklagten gehabt habe. Das Kindergeld sei auf Antrag des Klägers ab Februar 1997 festgesetzt und bis Juli 2008 auf das vom Kläger im Antrag angegebene Konto bei der Bank L überwiesen worden. Daher sei – unter Berücksichtigung der Verjährungsfrist gemäß § 169 AO – über die Rückforderung im Bescheid vom 10. September 2008 hinaus nun auch über die Rückforderung des Kindergelds für die Monate Januar 1998 bis Januar 2007 zu befinden, in denen das Kindergeld ebenfalls zu Unrecht bezogen worden sei. Des Weiteren war der Hinweis enthalten, dass aufgrund des Schreibens noch keine Zahlung vorzunehmen sei und dass der Kläger innerhalb von 3 Wochen die Möglichkeit zur Äußerung habe. Einen ausdrücklichen Hinweis auf die Möglichkeit der Verböserung bzw. nachteilige Änderung des mit dem Einspruch angefochtenen Verwaltungsakts vom 10. September 2008 (§ 367 Abs. 2 AO) enthielt das Schreiben allerdings nicht, insbesondere nicht auf die Möglichkeit, die Verböserung durch Rücknahme des Einspruchs abwenden zu können und auch keine Anfrage dahin, ob an dem Einspruch gleichwohl festgehalten werden solle. In einem behördeninternen Schreiben und in einem weiteren Schreiben an das LBV vom gleichen Tag wurde demgegenüber ausdrücklich erwähnt, dass es sich um eine Verböserung handle und dem Kläger mit dem Schreiben vom 15. Oktober 2008 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sei (Kindergeld-Akte, Bl. 35, 37).

Der Kläger reagierte darauf mit einem am 27. Oktober 2008 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben, in welchem er den Eingang der Zahlungen bestätigte, aber geltend machte, diese irrtümlich als Zahl...

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