Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für ausländische Eltern, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Eine Verpflichtungsklage auf Zahlung von Kindergeld ist auch hinsichtlich der auf die Einspruchsentscheidung folgenden Monate zulässig, entgegen FG Nds. v. 23.1.2006 - 16 K 12/04, EFG 2006, 751.

2) Kindergeld ist nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG v. 6.7.2004 - 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/07, 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160 = BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) auch solchen ausländischen Eltern zu gewähren, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens einem Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten. § 62 Abs. 2 EStG ist entgegen BFH v. 15.3.2007 - III R 93/03 einschränkend auszulegen.

 

Normenkette

Aufenthaltsgesetz § 25 Abs. 5; EStG § 62 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 30.07.2009; Aktenzeichen III R 54/07)

BFH (Urteil vom 30.07.2009; Aktenzeichen III R 54/07)

BFH (Beschluss vom 21.08.2007; Aktenzeichen III S 23/07 (PKH))

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Kindergeld für seine Kinder M (geb. 4.9.1981), G (15.10.1985), N (10.9.1986) und S (19.1.1990) zusteht. Die Kinder lebten unstreitig zumindest bis Dezember 2004 im Haushalt des Klägers.

Der Kläger ist … und vor 1991 aus Albanien nach Deutschland geflüchtet. Er war jugoslawischer Staatsbürger. Seit Beginn seines Aufenthalts in Deutschland ist er nicht erwerbsfähig und erwerbstätig gewesen. Er verfügte bis Ende 2004 nur über eine Aufenthaltsbefugnis. Ab dem 19.4.2005 verfügte er über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz. Seit dem 9.11.2006 verfügt er über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Der Kläger beantragte am 8.4.2002 Kindergeld für die vorgenannten Kinder. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Verfügung vom 29.8.2002 ab. Dabei handelte es sich um die erstmalige Ablehnung eines Kindergeldantrags. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 22.10.2002 zurück.

Mit der Klage beantragt der Kläger,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 29. August 2002 und der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2002 zu verpflichten,

  1. das Kindergeld für seine vier Kinder jeweils für die Zeit bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu gewähren,
  2. im Übrigen über den Kindergeldanspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung. Da der Kläger keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, seien auch die Voraussetzungen der rückwirkend anzuwendenden Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG für die Gewährung von Kindergeld nicht gegeben. Angesichts des klaren Gesetzeswortlauts ergebe sich etwas anderes auch nicht daraus, dass die Ausweisung des Klägers auf unbestimmte Zeit nicht möglich sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist insgesamt zulässig und begründet. Dem Kläger steht das beantragte Kindergeld zu, weil seine Ausweisung auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist und er sich seit über einem Jahr berechtigt in der BRD aufhält.

I. Die Klage ist nicht nur hinsichtlich des Kindergelds für die Monate bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung zulässig, sondern auch hinsichtlich der darauf folgenden Monate. Obwohl die Einspruchsentscheidung, mit der die Ablehnung des Kindergeldanspruchs bestätigt wurde, im Oktober 2002 bekanntgegeben worden ist, hält das Gericht entgegen der Ansicht des Niedersächsischen FG im Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04 (EFG 2006, 751) eine Klage, mit der die Verurteilung der beklagten Behörde zu Gewährung von Kindergeld begehrt werden soll, auch für die Monate nach Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung für zulässig.

a) Das Niedersächsische FG hält in seinem Urteil vom 23. Januar 2006 eine Klage gegen einen die Festsetzung von Kindergeld ablehnenden Bescheid für insoweit unzulässig, als sich der Klageantrag auch auf die Monate nach der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids erstreckt. Dabei geht es unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 28. Januar 2004 VIII R 12/03 (BFH/NV 2004, 786) von der These aus, dass der Regelungsgehalt eines Bescheides, durch den ein Kindergeldantrag abgelehnt wird, lediglich den Zeitraum bis einschließlich des Monats der Bekanntgabe erfasse. In diesem BFH-Urteil heißt es zwar einerseits ausdrücklich, dass ein Bescheid, durch den ein ohne ausdrückliche zeitliche Beschränkung gestellter Kindergeldantrag abgelehnt wird, den Anspruch auf Kindergeld nur für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum regelt und keine Regelungswirkung für künftige, bei Bescheiderlass noch nicht entstandene Kindergeldansprüche entfaltet. In der Entscheidung des VIII. Senat war allerdings – anders als im vorliegenden Fall – nicht das Kindergeld für künftige Monate streitig, die auf den Monat der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids folgten. Streitig war vielmehr, ob sich die Regelungswirkung eines im Dezember 2000 erlassenen Bescheides auch auf die vergan...

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