Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Kindergeld: Kindergeldberechtigung eines in Deutschland erwerbstätigen EU-Ausländers für sein Kind, das im Haushalt der Großmutter im EU-Ausland lebt

 

Leitsatz (amtlich)

Besteht nach den Rechtsvorschriften mehrerer EU-Mitgliedsstaaten nur ein Kindergeldanspruch einer Person, so kann ein Anspruch auf Kindergeld anderer Personen bzw. ein Anspruch auf Auszahlung des Kindergeldes an andere Personen nicht aufgrund europäischer Vorschriften fingiert werden.

 

Normenkette

EGV 883/2004 Art. 67 S. 1; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 68; EGV 883/2004 Art. 11 Abs. 1 S. 1; EGV 883/2004 Art. 11 Abs. 3, Art. 87 Abs. 8 S. 1; EStG 2010 § 64 Abs. 2 S. 1; EStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 10.03.2016; Aktenzeichen III R 62/12)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob für den Kläger Kindergeld für seine in Griechenland lebenden Kinder ab Mai 2010 festzusetzen ist.

Der Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Im ... 2009 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und nahm eine allein in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübte unselbständige, sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit auf. Seit Einreise in die Bundesrepublik Deutschland hat der Kläger hier seinen ständigen Wohnsitz, nicht in Griechenland. Im April und Mai 2010 übte der Kläger allein in der Bundesrepublik Deutschland eine unselbständige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus. Zurzeit bezieht der Kläger Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III).

Der Kläger ist leiblicher Vater der Mädchen A, geboren am ..., sowie B, geboren am ... Die beiden Kinder leben jedenfalls seit Mai 2010 in Griechenland im Haushalt ihrer nicht erwerbstätigen Großmutter, der Mutter des Klägers. Die Kindesmutter, von der der Kläger jedenfalls seit Mai 2010 dauernd getrennt lebt, lebt in einem anderen Haushalt in Griechenland und übt nach Angabe des für die Gewährung von Familienleistungen in Griechenland zuständigen Trägers vom 21.02.2011 seit Juli 2009 keine berufliche Tätigkeit aus.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Festsetzung des Kindergeldes für seine beiden Kinder mit Bescheid vom ... 2010 insgesamt ab. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom ... 2010, eingegangen bei der Beklagten am ... 2010, Einspruch ein. Mit Bescheid vom ... 2011 änderte die Beklagte die Festsetzung und setzte Kindergeld für die beiden Kinder für den Zeitraum von November 2009 bis einschließlich April 2010 fest. Mit Einspruchsentscheidung vom ... 2011 lehnte die Beklagte einen Kindergeldanspruch des Klägers für die beiden Kinder für den Zeitraum ab Mai 2010 ab.

Hiergegen richtet sich die Klage vom ... 2011, bei der Beklagten eingegangen am ... 2011. Der Kläger ist der Auffassung, dass für ihn nach den Regelungen des deutschen sowie des europäischen Rechtes Kindergeld festzusetzen ist.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid über die Ablehnung der Festsetzung des Kindergeldes für die Kinder A und B vom ... 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, für die vorgenannten Kinder Kindergeld ab Mai 2010 in Höhe von jeweils 184 € festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, aufgrund europäischer Vorschriften könne der Kläger selbst kein Kindergeld für die beiden Kinder für sich beanspruchen. Allenfalls sei ein deutscher Unterschiedsbetrag an die Großmutter zu zahlen.

Die Beteiligten haben am ... 2012 erklärt, dass sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch durch den Berichterstatter anstelle des Senates einverstanden sind.

Dem Gericht hat die Kindergeldakte Nr. XXX der Familienkasse Hamburg - Bundesagentur für Arbeit - vorgelegen.

Im Übrigen wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll des Erörterungstermins vom ... 2012 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

I. Der Berichterstatter entscheidet gemäß § 79a Abs. 3 und 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senates und gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

II. Die zulässige Klage ist begründet. Die Ablehnung der Festsetzung des Kindergeldes ab Mai 2010 für die beiden Kinder A und B mit Bescheid vom ... 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Da die Sache spruchreif ist (§ 101 Satz 1 FGO), ist die Beklagte verpflichtet, Kindergeld für die beiden Kinder ab Mai 2010 in Höhe von jeweils 184 € monatlich festzusetzen. Allein der Kläger ist nach deutschen Rechtsvorschriften für die beiden Kinder A und B kindergeldberechtigt.

1. Der Kläger ist gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anspruchsberechtigt, da er als freizügigkeitsberechtigter Ausländer (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet - Aufenthaltsgesetz - AufenthG -, § 2 Abs. 2 Nr. 1 bzw. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemei...

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