rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollzugsdefizit und Billigkeit bei Abzug von Spekulationsverlusten während einer Übergangsfrist (vor 1999)

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Besteuerung der Einkünfte aus privaten Spekulationsgeschäften war im Jahr 1996 noch verfassungsgemäß, da die dem Gesetzgeber zuzubilligende Übergangsfrist trotz des sich aufbauenden Vollzugsdefizits noch nicht abgelaufen war.
  2. Demgegenüber fehlt es aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Nichtigerklärung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG 1997 an einer Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung eines in diesem Jahr entstandenen Spekulationsverlustes.
  3. Hier sind Billigkeitsmaßnahmen in Gestalt des Verlustausgleichs zwischen 1997 und 1996 zur Beseitigung des unsystematischen Verstoßes gegen das Nettoprinzip ernstlich zu erwägen.
  4. Die mögliche Verfassungswidrigkeit des StraBEG hat keine Auswirkung auf die Besteuerung zutreffend erklärter Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften.
 

Normenkette

EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b, Abs. 3 S. 4; AO § 163; GG Art. 3 Abs. 1

 

Streitjahr(e)

1996

 

Tatbestand

Die Klägerin wird für das Streitjahr 1996 nunmehr getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielte positive Einkünfte aus selbständiger Arbeit und Kapitalvermögen, daneben Verluste aus gewerblichen Beteiligungen und aus Vermietung und Verpachtung. In der gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann eingereichten Einkommensteuererklärung, in der noch eine Zusammenveranlagung beantragt war, erklärte die Klägerin anteilige Einkünfte aus Spekulationsgeschäften, die sie zusammen mit ihrem Ehemann erzielt hatte, in Höhe von 55.621 DM. Diese Überschüsse stammten insbesondere aus dem An- und Verkauf von Aktienoptionen, die die Eheleute unter der Vermittlung und Beratung eines Börsenmaklers getätigt hatten. Die Einkünfte sind vom Finanzamt gemäß § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO nicht gesondert festgestellt worden. Nach mehreren Änderungen setzte der Beklagte –das Finanzamt- die Einkommensteuer für 1996 gegenüber der Klägerin schließlich unter Ansatz der Spekulationseinkünfte in erklärter Höhe auf 376.518 DM fest (Bescheid vom 14.12.2000).

Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch. Sie machte u. a. geltend, dass sie im Folgejahr 1997 aus Spekulationsgeschäften (aus Aktienoptionen und sog. Stillhaltergeschäften) insgesamt Verluste von ca. 1,194 Mio. DM erlitten habe, die gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 Einkommensteuergesetz in der für 1997 geltenden Fassung – EStG 1997 - steuerlich unberücksichtigt geblieben seien. Dies sei verfassungswidrig (in Anlehnung an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG - vom 30.09.1998 2 BvR 1818/91). Die Verluste seien bei verfassungsmäßiger Besteuerung nach Verrechnung mit anderen Einkünften des laufenden Jahres u. a. auf das Streitjahr 1996 zurückzutragen; zumindest seien die Spekulationsverluste aus 1997 aber mit dem Spekulationsgewinn aus 1996 zu verrechnen. Das Einspruchsverfahren ruhte bis zu der Entscheidung des BVerfG in der Sache 2 BvL 17/02 (Beschluss vom 9.03.2004 2 BvL 17/02, BStBl II 2005, 56). Im Anschluss daran verwies die Klägerin auf das BFH-Urteil vom 1.06.2004 (IX R 35/01, BStBl II 2005, 26), wonach auch für vor 1999 erzielte Spekulationsverluste die allgemeinen einkommensteuerlichen Vorschriften über Verlustausgleich und Verlustabzug anwendbar seien. Dem stehe die Entscheidung des BVerfG 2 BvL 17/02 nicht entgegen, weil das gerügte strukturelle Vollzugsdefizit auch im Jahr 1996 bestanden habe. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, zwar sei –wie der BFH in der Sache IX R 35/01 entschieden habe- das Verlustausgleichsverbot des § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG 1987 (entspricht § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG 1997) mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar; jedoch könnten Verluste aus Spekulationsgeschäften nur (ggf. im Wege des Verlustrücktrags) berücksichtigt werden, soweit die Verlustentstehung überhaupt einen steuerbaren Vorgang dargestellt habe. Im Streitfall sei die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG 1997 nichtig mit der Folge, dass die entsprechenden Veräußerungsgeschäfte nicht zu den sonstigen Einkünften i. S. d. § 22 EStG gezählt hätten, somit Gewinne und Verluste hieraus nicht steuerbar seien.

Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die steuerliche Berücksichtigung der im Jahr 1996 erzielten Spekulationseinkünfte. Zur Begründung führt sie näher aus, es habe –wie in den Folgejahren 1997 und 1998- ein strukturelles Erhebungsdefizit bestanden, das auch bereits im Streitjahr dem Gesetzgeber zuzurechnen gewesen sei. Dies bewirke die Verfassungswidrigkeit der materiellen Besteuerungsnorm. Auf Anregung der Beteiligten wurde das Klageverfahren ausgesetzt bis zur Entscheidung des BVerfG über die Richtervorlage des FG Münster (Beschluss vom 5.04.2005 8 K 4710/01 E, EFG 2005, 1117). Nachdem das BVerfG die Richtervorlage als unzulässig verworfen hat (Beschluss vom 18.04.2006 2 BvL 8/05, BFH/NV Beilage 2006, 364), hält die Klägerin an ihrer Auffassung fest. In der mündl...

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