Entscheidungsstichwort (Thema)

Versehentliche Nichterfassung erklärter Lohnersatzleistungen jedenfalls bei Aktenführung in Papierform keine offenbare Unrichtigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hat der Sachbearbeiter bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung nachgewiesene Lohnersatzleistungen zwar in den Eingabebogen übernommen, jedoch versehentlich nicht in die EDV eingegeben, liegt eine einem Schreibfehler oder Rechenfehler ähnliche Unrichtigkeit vor.

2. Eine auf § 129 S. 1 AO gestützte nachträgliche Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts ist dennoch ausgeschlossen, da der Fehler bei Offenlegung des aktenkundigen Sachverhalts nicht für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar, mithin nicht „offenbar” i. S. d. Berichtigungsnorm ist.

3. Die Prüfung der gespeicherten Daten mag bei einer „papierlosen Akte” ausreichend sein. So lange jedoch noch Akten in Papierform geführt werden und zur Feststellung eines evtl. Erfassungsfehlers ein Abgleich des Akteninhalts mit dem EDV-Speicher erforderlich wird, kann nicht von einer „offenbaren” Unrichtigkeit ausgegangen werden.

 

Normenkette

AO § 129 S. 1; EStG 2002 § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 08.12.2011; Aktenzeichen VI R 45/10)

BFH (Urteil vom 08.12.2011; Aktenzeichen VI R 45/10)

 

Tenor

Der Einkommensteuerbescheid 2005 vom 26. September 2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2007 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2005 nach § 129 Abgabenordnung (AO).

Am 06. Juni 2006 ging beim Beklagten die „vereinfachte Einkommensteuererklärung für Arbeitnehmer” 2005 der Klägerin ein. Eine Bescheinigung über erhaltene Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld) in Höhe von 10.764 EUR lag der Erklärung bei.

Die Sachbearbeiterin ergänzte handschriftlich im Erklärungsvordruck unter Sachbereich 47 in Kennziffer 120 „10764” und vor der Kennziffer 120 „lag vor”. Im Einkommensteuerbescheid 2005 vom 25. August 2006 wurden die erhaltenen Lohnersatzleistungen dagegen nicht berücksichtigt und die Einkommensteuer auf 1.720 EUR (Solidaritätszuschlag 0 EUR) festgesetzt.

Im Rahmen der Bearbeitung eines Einspruchsverfahrens gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2006 stellte der Beklagte fest, dass die Lohnersatzleistungen 2005 nicht berücksichtigt worden waren. Infolgedessen änderte er mit Bescheid vom 26. September 2007 die festgesetzte Einkommensteuer nach § 129 AO auf nunmehr 2.795 EUR (Solidaritätszuschlag 79,86 EUR, Zinsen zur Einkommensteuer 31 EUR) ab. Der Bescheid trägt die Hinweise, dass er nach § 129 AO berichtigt wurde und dass die Änderung hinsichtlich der erklärten Lohnersatzleistungen erfolgt sei. Die nunmehr festgesetzte Einkommensteuer berücksichtigte die erhaltenen Lohnersatzleistungen unter Einbeziehung der Tarifprogression nach § 32 b Abs. 1 Ziffer 1 a Einkommensteuergesetz (EStG).

Gegen diesen Bescheid richtete sich der Einspruch der Klägerin vom 30. September 2007, eingegangen am 02. Oktober 2007. Die Klägerin stimmte einer Änderung zu ihren Ungunsten nicht zu, vertrat die Ansicht, dass offensichtliche Schreib- und Rechenfehler nicht vorliegen würden und gab an, auf den bestandskräftigen Steuerbescheid vertraut zu haben. Die Unrichtigkeit des Steuerbescheides sei für sie auch nicht offenbar gewesen, da sie aus dem Steuerbescheid nicht ersichtlich gewesen sei. Die Änderung sei auch nicht ihr anzulasten, da sie die vollständigen Unterlagen eingereicht habe. Die erstatteten Steuern seien zwischenzeitlich verbraucht worden.

Mit Einspruchsbescheid vom 11. Dezember 2007 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte aus, dass die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, nach § 129 AO jederzeit berichtigen könne. Eine Änderung nach den §§ 172 ff. AO komme nicht in Betracht. Die Änderung nach § 129 AO sei auch bei einem bestandskräftigen Bescheid möglich, soweit die Festsetzungsfrist nach §§ 239 Abs. 1 Satz 3, 169 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AO noch nicht abgelaufen sei. Durch das nachträgliche Eintragen des Betrages der Lohnersatzleistungen sei die Willensbildung der Sachbearbeiterin erkennbar geworden. Mit dem Nachtrag sollte der Betrag in die Steuerfestsetzung einfließen. Die nachfolgende Nichterfassung sei ein mechanisches Versehen gewesen, das berichtigt werden könne. Im Streitfall liege auch kein Rechtsirrtum, ein Denkfehler oder eine unvollständige Sachverhaltsaufklärung oder Sachverhaltswürdigung seitens der Sachbearbeiterin vor. Die Nichterfassung sei bei Offenlegung des Feh...

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