rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückforderung von bei getrennter Veranlagung falsch angerechneten Einkommensteuervorauszahlungen nur durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO, nicht aber durch Rückforderungsbescheid nach § 37 Abs. 2 AO zulässig

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hat ein Ehegatte bei noch intakter Ehe ohne nähere Zweckbestimmung Einkommensteuervorauszahlungen sowie die sich aufgrund der Zusammenveranlagung ergebende Abschlusszahlung geleistet, so ist davon ausgehen, dass der Ehegatte, der die Zahlungen auf die gemeinsame Steuerschuld bewirkt hat, mit seinen Zahlungen auch die Steuerschuld des anderen mit ihm zusammen veranlagten Ehegatten begleichen wollte. Die Steueranrechnung bzw. -erstattung hat demnach nach Köpfen zu erfolgen; das gilt auch dann, wenn die Eheleute sich später trennen und einer der Ehegatten nachträglich die getrennte Veranlagung beantragt.

2. Wird später eine getrennte Veranlagung durchgeführt und werden dabei vom Finanzamt dem Ehegatten, der die Vorauszahlungen bzw. Abschlusszahlungen tatsächlich geleistet hat, diese Zahlungen nicht nur zur Hälfte, sondern unrichtigerweise in voller Höhe angerechnet, so stellt die mit dem Bescheid über die getrennte Veranlagung verbundene Anrechnungsverfügung einen Verwaltungsakt mit Bindungswirkung dar, der als (rechtswidriger) begünstigender Verwaltungsakt nur durch einen nachfolgenden Abrechnungsbescheid gem. § 218 Abs. 2 AO unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO geändert werden kann. Das Finanzamt ist nicht berechtigt, ohne Änderung der Anrechnungsverfügung die zu Unrecht angerechnete Hälfte der Einkommensteuervorauszahlungen bzw. -abschlusszahlung durch einen Rückforderungsbescheid nach § 37 Abs. 2 AO zurückzufordern.

 

Normenkette

AO § 37 Abs. 2, § 218 Abs. 2, § 130 Abs. 2; EStG § 36 Abs. 2 Nr. 1

 

Tenor

Die Rückforderungsbescheide vom 5.11.2007 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 3.3.2008 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu erstattenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Klägerin und ihr damaliger Ehemann wurden – zuletzt mit Bescheiden vom 5.1.2004 – antragsgemäß gemeinsam zur Einkommensteuer 1993 und 1994 veranlagt. Die festgesetzten Steuern wurden vollständig beglichen. Auf den Antrag der Klägerin vom 2.2.2004 wurden die Steuerbescheide am 4.6.2004 aufgehoben und die Klägerin mit Bescheiden vom 25.1.2005 getrennt zur Einkommensteuer 1993 und 1994 veranlagt. Dabei wurden die auf die Zusammenveranlagung geleisteten Zahlungen antragsgemäß allein der Klägerin zugerechnet und auf deren Steuerkonto beim Finanzamt M verbucht. Nachdem der inzwischen geschiedene Ehemann der Klägerin am 1.6.2007 vom Finanzamt N zwei Abrechnungsbescheide für Einkommensteuer 1993 und 1994 erwirkt hatte, in welchen ihm die Hälfte der geleisteten Vorauszahlungen von insgesamt 72.751,19 EUR zugerechnet wurde, erließ der Beklagte am 5.11.2007 einen Rückforderungsbescheid gegen die Klägerin in gleicher Höhe. Der hiergegen eingelegte Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. In seiner Einspruchsentscheidung vom 3.3.2008 führte der Beklagte aus, die Einkommensteuerzahlungen seien zu Unrecht vollständig dem Steuerkonto der Klägerin zugerechnet worden. Dadurch, dass die Steuerzahlungen dem neuen Steuerkonto der Klägerin beim Finanzamt M gutgeschrieben worden seien, sei die Klägerin ohne Rechtsgrund bereichert worden, da diese Umbuchung zu einer Minderung ihrer Steuerschuld geführt habe.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die volle Anrechnung der Einkommensteuerzahlungen zu ihren Gunsten. Sie ist der Auffassung, die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) lägen nicht vor. Als Ansprüche aus dem Steuerverhältnis kämen lediglich die letzten Bescheide vom 25.1.2005 in Frage. Diese Bescheide hätten Ansprüche von ihr – der Klägerin – zum Gegenstand, da sich entsprechende Erstattungsansprüche aus der Wahl der getrennten Veranlagung ergeben hätten. Der Steueranspruch des Staates sei bereits durch die Tilgung der Steuerschuld im Jahre 1996 erloschen. Materiellrechtlich seien die Festsetzungen für die Jahre 1993 und 1994 nicht mehr änderbar gewesen, da bereits seit dem Jahr 2000 Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Gegenstand einer Rückforderung nach § 37 Abs. 2 AO könnten somit nur Ansprüche sein, die sich aus der Differenz der Bescheide für beide Ehegatten ergäben. Ein Nachzahlungsanspruch des Staates sei jedoch nicht ersichtlich.

Im Übrigen habe sie – die Klägerin – die Steuerzahlungen und die Abschlusszahlung auf eigene Rechnung geleistet. Sie – die Klägerin – habe keinen anderen Willen gehabt als den, ihre eigenen Steuern zu zahlen, die sie durch ihre freiberufliche Tätigkeit auch verursacht habe. Dass sie mit ihren Zahlungen teilweise ...

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