Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnung des Finanzamts von vor der Insolvenz entstandenen Steuerforderungen mit dem Umsatzsteuererstattungsanspruch eines nach Insolvenzeröffnung vom Insolvenzschuldner aufgenommenen, vom Insolvenzverwalter vorbehaltlos freigegebenen Betriebs zulässig

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzschuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestattet, eine betriebliche Tätigkeit selbstständig „Neugeschäftsbetrieb”) auszuüben und wurde lediglich der unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenze und nach Abzug der Ertrag- und Umsatzsteuern verbleibende Reingewinn des Neugeschäftsbetriebs nicht freigegeben, so ist von einer –auch nach der Rechtslage vor dem 1.7.2007 (Änderung von § 35 InsO) möglichen und anerkannten– vorbehaltlosen Freigabe des Neugeschäftsbetriebs durch den Insolvenzverwalter auszugehen. Das hat zur Folge, dass ein durch den Neugeschäftsbetrieb entstandener Umsatzsteuererstattungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse fällt, daher nicht von dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO betroffen ist und dass damit das Finanzamt zulässigerweise vor der Insolvenzeröffnung entstandene Steuerforderungen (Insolvenzforderungen) mit einem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Umsatzsteuererstattungsanspruch des Gemeinschuldners aus dem Neugeschäftsbetrieb aufrechnen darf.

 

Normenkette

InsO § 96 Abs. 1 Nrn. 1, 4, § 35; AO § 226; BGB § 387

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

 

Tatbestand

Mit Beschluss des Amtsgerichts M vom 01.09.2000 (Az.: 3.1 IN 262/00) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Mit Schreiben vom 12.11.2004 an den Kläger wies der Insolvenzverwalter A darauf hin, der Kläger habe im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts O nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 05.08.2004 einen neuen Geschäftsbetrieb aufgenommen und sei selbstständig tätig. Zur Vermeidung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Insolvenzordnung – InsO – gebe er, der Insolvenzverwalter, den Neugeschäftsbetrieb aus der Insolvenzmasse vorbehaltlos frei. Von dieser Freigabe sei lediglich der Anspruch des Neuerwerbs ausgeschlossen, soweit es sich dabei um den Gewinn des Unternehmens nach Ertragsteuern handle.

Der Beklagte verrechnete ein Umsatzsteuerguthaben des Klägers aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung September 2005 vom 10.11.2005 in Höhe von 2 247,93 EUR mit Insolvenzforderungen (Lohnsteuer November/Dezember 1999 und März 2000). Hierüber erging am 30.03.2006 ein Abrechnungsbescheid, in dem festgestellt wurde, dass der Erstattungsanspruch aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung vom 10.11.2005 in Höhe von 1 988,94 EUR auf Insolvenzforderung Lohnsteuer Dezember 1999, in Höhe von 0,31 EUR auf Insolvenzforderung Lohnsteuer November 1999 und in Höhe von 258,78 EUR auf Insolvenzforderung Lohnsteuer März 2000 umgebucht worden sei.

Mit dem hiergegen gerichteten Einspruch machte der Kläger geltend, dass die Verrechnung von Vorsteuererstattungsansprüchen aus jüngerer Zeit gegen Altforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig sei. Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2000 seien die zur Aufrechnung/Umbuchung gestellten Lohn- und Umsatzsteueransprüche des Klägers bereits entstanden gewesen. Die Vorsteuererstattungsansprüche seien dagegen erst weit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Es sei höchst streitig, ob – entgegen dem Wortlaut des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO – eine Spaltung des Schuldnervermögens in die Insolvenzmasse einerseits und insolvenzfreies Vermögen andererseits mit jeweils anderen Rechtsfolgen vorgenommen werden könne. Die weitaus herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur verneine dies bereits mit der Begründung, eine erst nach Verfahrenseröffnung entstehende Aufrechnungslage sei nicht schutzwürdig, da der aufrechnende Gläubiger bis zur Eröffnung des Verfahrens nur auf seine Quotenerwartung habe vertrauen dürfen und eine nachträgliche Aufwertung seiner Insolvenzforderung in Widerspruch zu dem tragenden insolvenzrechtlichen Prinzip der Gläubigergleichbehandlung stehen würde. Es handle sich bei dem jetzigen Gewerbebetrieb des Klägers auch nicht um „neues”, insolvenzfreies Vermögen im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Es sei ihm vom Insolvenzverwalter lediglich gestattet worden, als Lebensgrundlage und um der Masse etwaige pfändbare Überschüsse zuführen zu können, das Gewerbe weiterhin zu betreiben. Eine Aufspaltung in zwei verschiedenen Vermögensmassen sei rein willkürlich und durch nichts gerechtfertigt.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 13.10.2006 als unbegründet zurück, da der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch durch Aufrechnung erloschen sei. Ein Aufrechnungsverbot habe nicht bestanden. Insbesondere könne § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht greifen, denn die dort angesprochenen Sachverhalte bezögen...

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