Entscheidungsstichwort (Thema)

Altersvorsorge-Eigenheimbetrag bei Ersetzung der bisherigen Abwassergrube des Eigenheims durch einen Anschluss an die zentrale öffentliche Abwasserentsorgung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für den Schmutzwasserbeitrag, den die Eigentümerin für die über zehn Jahre nach der Anschaffung des Eigenheims durchgeführte Ersetzung der bisherigen Abwassergrube des Eigenheims durch den Anschluss an die zentrale öffentliche Abwasserentsorgung zahlen muss, steht ihr eine Förderung nach §§ 92a, 92b EStG (Altersvorsorge-Eigenheimbetrag) zu.

2. Die Qualifikation von Aufwendungen als Anschaffungskosten (beziehungsweise Herstellungskosten) bestimmt sich für die steuerrechtliche Beurteilung – und somit auch im Rahmen der Auslegung des § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG – nach § 255 Abs. 1 und Abs. 2 HGB.

3. Werden vorhandene Erschließungseinrichtungen ersetzt oder modernisiert, so handelt es sich um Erhaltungsaufwand, es sei denn, das Grundstück erfährt dadurch – wie im Streitfall – eine über den ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung i. S. v. § 255 Abs. 2 S. 1 HGB. Maßgeblich ist, dass die vorhandene Sickergrube ab dem Jahre 2015 nicht mehr hätte genutzt werden dürfen.

4. Das Grundstück der Klägerin wurde durch den Anschluss an das zentrale Abwassersystem in einen neuen Zustand versetzt, weil es über das Jahr 2015 hinaus über eine gesetzeskonforme Abwasserentsorgungsmöglichkeit verfügt und mithin ein gegenüber dem ursprünglichen Zustand wesentlich höheres Nutzungspotential aufweist.

 

Normenkette

EStG § 92a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2, § 92b; HGB § 255 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 06.04.2016; Aktenzeichen X R 29/14)

BFH (Urteil vom 06.04.2016; Aktenzeichen X R 29/14)

 

Tenor

Der Bescheid vom 20. September 2010 sowie die Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2011 werden aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag vom 30. Juni 2010 auf Entnahme eines Altersvorsorge-Eigenheimbetrages neu zu entscheiden – und zwar unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Schmutzwasserbeitrag um nach § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EinkommensteuergesetzEStG – begünstigte Aufwendungen für die Anschaffung einer Wohnung handelt.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Klägerin anlässlich des Anschlusses ihres Eigenheims an die zentrale Abwasserentsorgung eine Förderung nach §§ 92a, 92b EinkommensteuergesetzEStG – zusteht (Altersvorsorge-Eigenheimbetrag).

Die Klägerin erwarb 1998 ihr unter der im Rubrum genannten Adresse belegenes Eigenheim, das sie mit ihrer Familie bewohnt. Seit dem Jahr 2007 verfügt die Klägerin zudem über einen nach § 5 Altersvorsorgeverträge-ZertifizierungsgesetzAltZertG – zertifizierten Altersvorsorgevertrag.

Im Jahr 2009 ersetzte sie die bis dahin genutzte Abwassergrube durch einen Anschluss an das zentrale Schmutzwassersystem. Die Abwassergrube hätte sie ab 2015 nicht mehr nutzen dürfen. Die Gemeinde erhob für den Anschluss des Grundstücks an die öffentliche Abwasserkanalisation mit Beitragsbescheid vom 22. März 2010 einen am 23. April 2010 fälligen Beitrag in Höhe vom 3.306,25 Euro, den sie ausgehend von der Grundstücksfläche und dessen Nutzung errechnet hatte. Auf den genannten Bescheid nimmt das Gericht wegen der näheren Einzelheiten Bezug.

Da die Klägerin den genannten Schmutzwasserbeitrag nicht aufbringen konnte, beantragte sie mit Schreiben vom 30. Juni 2010 bei der Beklagten die Entnahme eines Altersvorsorge-Eigenheimbetrags in Höhe des geschuldeten Schmutzwasserbeitrags aus ihrem Altersvorsorgevertrag. Der Stand des Altersvorsorgevermögens überstieg den der Gemeinde geschuldeten Betrag.

Mit Bescheid vom 20. September 2010 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Entnahme des Eigenheimbetrages ab. Die Entrichtung des Schmutzwasserbeitrags für eine seit langem angeschaffte / hergestellte Immobilie sei nicht begünstigt.

Hiergegen wehrte sich die Klägerin fristgerecht mit Einspruch.

Es handele sich bei dem Schmutzwasserbeitrag um eine wertsteigernde Einmalzahlung, die begünstigt sein müsse.

Mit Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2011 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Die Aufwendungen für den Anschluss an das zentrale Abwassernetz seien nicht förderfähig, da die Voraussetzungen nach den allgemeinen steuerlichen Grundsätzen für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung nicht erfüllt seien.

Hiergegen wehrt sich die Klägerin fristgerecht mit ihrer Klage.

Sie sei gezwungen gewesen, ihr Einfamilienhaus an das zentrale Abwassersystem anzuschließen. Anderenfalls hätte sie spätestens 2015 eine ...

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