rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine gleichheitswidrige Benachteiligung behinderter Kinder bei der Gewährung von Kindergeld

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein schwerbehindertes Kind, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und aufgrund einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in der Lage ist, seinen Lebenunterhalt selbst zu bestreiten, hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Kindergeld.

2. Der Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 c) EStG setzt voraus, dass das Kind nach seinen persönlichen Verhältnissen in der Lage ist, die objektiven Anforderungen des Ausbildungsplatzes zu erfüllen.

3. Für die Frage, ob ein behindertes Kind i. S. d. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, sind die dem Kind zur Verfügung stehenden eigenen finanziellen Mittel seinem existenziellen Lebensbedarf gegenüber zu stellen. Auf die Herkunft der Mittel und ihre Zweckbestimmung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

4. Der Grundbedarf des behinderten Kindes entspricht dem Grundfreibetrag i. S. d. § 32a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG.

5. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf eines Kindes bestimmt sich nach dem Behindertenpauschbetrag gemäß § 33b Abs. 13 EStG, wenn der Steuerpflichtige keinen Einzelnachweis erbringt.

6. Die vom Gesetzgeber in § 32 Abs. 4 EStG vorgenommenen Typisierungen ist auch in Bezug auf die Berücksichtigung behinderter Kinder verfassungsgemäß.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 c), Nr. 3, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1, § 32a Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 33b; GG Art. 3 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 16.03.2015; Aktenzeichen XI B 109/14)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der grundsätzlich bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres einkommensunabhängig gewährte Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG in der seit dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, soweit Kinder mit einer Schwerbehinderung von einer Förderung ausgeschlossen sind, wenn sie Einkünfte und Bezüge erzielen, die es dem Kind ermöglichen, sich selbst zu unterhalten.

Der Kläger ist der Vater seines am xx.xx. 1988 geborenen Sohnes B. B ist seit einem Unfall, der sich kurz nach Abschluss seiner Ausbildung zum Straßenbauer ereignet hat, schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von – im maßgeblichen Zeitraum – 50% (Bl. 197 KiG-Akte). Im Streitzeitraum Januar 2012 bis Oktober 2012 bezog er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 929,04 EUR (Januar 2012), 933,05 EUR (Februar 2012) bzw. 935,66 EUR (März bis Oktober 2012).

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16. Oktober 2012 den Kindergeldantrag des Klägers ab März 2011 ab, weil sein Sohn aufgrund der Rente wegen voller Erwerbsminderung in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt, den die Familienkasse mit monatlich 714,50 EUR ermittelte, durch eigene verfügbare Mittel zu bestreiten (Bl. 240 KiG-Akte sowie zur Ermittlung der Einkommensgrenze Bl. 237 f. KiG-Akte).

Hiergegen legte der Kläger am 16. November 2012 Einspruch ein (Bl. 241 f. KiG-Akte), den er später (Bl. 251 R KiG-Akte) auf die Bewilligungszeiträume ab Januar 2012 eingrenzte. Nach seiner Auffassung führt der Umstand, dass die Familienkasse bei Kindern mit Behinderung auch nach dem 1. Januar 2012 die Einkünfte und Bezüge prüfe, zu einer Ungleichbehandlung von Kindern mit Behinderung.

Die Beklagte wies mit Entscheidung vom 8. Januar 2013 den Einspruch als unbegründet zurück (Bl. 256 ff. KiG-Akte). Gemäß § 63 Abs. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG bestehe für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet habe, ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Laut BMF-Schreiben vom 7. Dezember 2011 (BStBl I S. 1243) gelte für die Prüfung, ob ein behindertes Kind i.S.d. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG außerstande sei, sich selbst zu unterhalten, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG mit der Maßgabe fort, dass anstelle des Grenzbetrags nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG 2011 der Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG in Höhe von derzeit 8.004 EUR als allgemeiner Lebensbedarf anzusetzen sei. Hinzu komme der individuelle behinderungsbedingte Mehrbedarf, der sich – sofern der Steuerpflichtige diesen nicht durch Einzelnachweise belege – bei Kindern, die nicht vollstationär untergebracht seien, nach dem Behinderten-Pauschbetrag des § 33b Abs. 3 EStG bemesse. Danach reichten die dem Kind zuzurechnenden Mittel (monatlich 933,05 EUR) aus, den Gesamtbedarf (monatlich 714,50 EUR) abzudecken. Dem Kläger stehe daher nach § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG kein Kindergeld zu.

Der Kläger erhob gegen die Ablehnung des Anspruchs auf Kindergeld am 28. Januar 2013 Klage. Zur Begründung führt er aus, ein Anspruch auf Kindergeld bestehe für ein Kind, das noch nicht 25 Jahre alt sei, auch nach Abschluss einer erstmaligen Beru...

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