Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerbarkeit der auf Bodenseeschiffen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegebenen Speisen und Getränke; Kein Vertrauensschutz wegen Änderung der Rechtsprechung nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 im Einspruchsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die auf den Bodenseeschiffen eines im Inland betriebenen Unternehmens während der Schifffahrt erbrachten Restaurationsleistungen sind steuerbar, da sich der Ort der sonstigen Leistung in Ermangelung einer Betriebsstätte danach richtet, wo das Unternehmen betrieben wird.

2. Mit Urteil vom 26.6.1996 - XI R 18/94 (BStBl II 1998, 278) - hat der BFH seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle als Lieferung anzusehen ist, aufgegeben und beurteilt solche Umsätze nunmehr als Dienstleistungen i.S. des § 3 Abs. 9 UStG.

3. Ändert sich die Rechtsprechung während des Einspruchsverfahrens zuungunsten eines Steuerpflichtigen, steht der in § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 für bestandskräftige Bescheide niedergelegte Vertrauensschutz einer Verböserung nicht entgegen.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 12, 176 Abs. 1 Nr. 3; UStG 1980 § 3 Abs. 9, § 3a Abs. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 29.08.2002; Aktenzeichen V R 30/01)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Abgabe von Speisen und Getränken auf Bodenseeschiffen durch die Klägerin im Streitjahr steuerbar ist, hilfsweise, ob nach § 163 AO aus Billigkeitsgründen von der Festsetzung der Umsatzsteuer insoweit abzusehen ist.

Die Klägerin, ein Bewirtungsunternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts – GbR –, betrieb bis zum 31.12.1992 eine Schiffsgastronomie. So gab sie auf mehreren Bodenseeschiffen der … – überwiegend Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle ab. Daneben hatte sie auch Kioskumsätze, die nach vom Finanzamt nicht bestrittenen Angaben der Klägerin rd. 20 % der Gesamtumsätze ausmachten. Die getätigten Umsätze behandelte sie in den Voranmeldungen bis einschließlich August 1984 als steuerbare und steuerpflichtige Lieferungen im Erhebungsgebiet. Erstmals im Zusammenhang mit der Voranmeldung für den Monat September 1984 vertrat die Klägerin unter Hinweis auf die Internationale Schifffahrts- und Hafenordnung für den Bodensee vom 22. September 1867 – ISHO – (Bayerisches Regierungsblatt 1868, 385) den Standpunkt, dass diese Regelung die Erhebung von Abgaben und somit auch von deutscher Umsatzsteuer verbiete, weshalb ihre Restaurationsumsätze auf dem Bodensee nicht steuerbar seien. Entsprechend wies sie die Umsätze auf dem Bodensee in den für das Streitjahr sowie für die Folgejahre eingereichten Umsatzsteuererklärungen nicht mehr aus.

Das Finanzamt (FA) teilte die Rechtsauffassung der Klägerin nicht und unterwarf die Umsätze auf dem Bodensee im Streitjahr, wie auch in den Vorjahren, zunächst weiterhin in vollem Umfang der Umsatzsteuer und setzte die Umsatzsteuer 1984 durch Bescheid vom 22. Oktober 1986 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) auf … DM fest. Im nachfolgenden Einspruchsverfahren fand u. a. für das Jahr 1984 eine Umsatzsteueraußenprüfung statt (Bericht vom 13. Oktober 1987), in der der Prüfer ausgehend davon, dass das Erhebungsgebiet im Sinne des § 1 Abs. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) sich bis zur Mitte des Bodensees erstrecke, Feststellungen über die Schifffahrtsrouten traf. Da über die Wegstrecken der Schiffe keine Angaben vorlagen und Einsatzpläne der DB nicht aufbewahrt wurden, schätzte er die steuerbaren und steuerpflichtigen Umsätze mit 90 v.H. Auf den Prüfungsbericht wird im Einzelnen Bezug genommen.

Das FA schloss sich den Feststellungen der Außenprüfung an und setzte mit gemäß § 164 Abs. 2 AO geändertem Bescheid vom 29. Januar 1988, der nach § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens geworden ist, die Umsatzsteuer für 1984 auf … DM herab, wogegen die Klägerin wiederum Einspruch einlegte (Schreiben vom 24. Februar 1988).

Die Bearbeitung des Einspruchs für 1984 sowie der Einsprüche für die Folgejahre wurde vom FA zunächst zurückgestellt, da über den Änderungsbescheid für 1983 eine Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg erhoben worden war. Die unter dem Aktenzeichen 14 K 147/91 geführte Klage wurde mit Urteil vom 03. Februar 1994 (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 1994, 852) abgewiesen. Die Revision hatte keinen Erfolg. Sie wurde vom Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 26. Juni 1996 – XI R 18/94, Bundessteuerblatt (BStBl) 1998 II (278) als unbegründet zurückgewiesen. Der BFH entschied unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 02. Mai 1996 – Rs C-231/94, BStBl II 1998, 282, dass die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle eine sonstige Dienstleistung im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG mit der Folge sei, dass diese sonstigen Leistungen gemäß § 3 a Abs. 1 Satz 1 UStG an dem Ort ausgeführt werden, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Da nach Ansicht des BFH ein Schiff k...

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