rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. vorschriftswidriges Verbringen. Voraussetzung für die Zollschuldnerschaft einer juristischen Person

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Dem EuGH wird die Frage vorgelegt, ob eine juristische Person als Verbringerin Zollschuldnerin wird, wenn einer ihrer Beschäftigten, der nicht ihr gesetzlicher Vertreter ist, im Rahmen seiner Zuständigkeit den Grund für das vorschriftswidrige Verbringen gesetzt hat?

2. Sollte dies bejaht werden, wird weiter die Frage gestellt, ob bei der Beurteilung einer betrügerischen Absicht oder offensichtlichen Fahrlässigkeit ausschließlich auf das Verhalten der juristischen Person bzw. ihrer Organe oder auf das Verhalten der bei ihr angestellten und im Rahmen ihrer Aufgaben mit der Sache befassten natürlichen Person abzustellen ist?

 

Normenkette

ZK Art. 202 Abs. 3, Art. 212a; AEUV Art. 267

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 25.01.2017; Aktenzeichen C-679/15)

 

Tenor

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wird gem. Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Ist Art. 202 Abs. 3 erster Gedankenstrich des Zollkodex (Verordnung [EWG] Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften – ZK –) so auszulegen, dass eine juristische Person nach Art. 202 Abs. 3 erster Gedankenstrich ZK als Verbringerin Zollschuldnerin wird, wenn einer ihrer Beschäftigten, der nicht ihr gesetzlicher Vertreter ist, im Rahmen seiner Zuständigkeit den Grund für das vorschriftswidrige Verbringen gesetzt hat?
  2. Wenn die erste Frage verneint wird:

    Ist Art. 202 Abs. 3 zweiter Gedankenstrich ZK so auszulegen, dass

    1. eine juristische Person (auch dann) am vorschriftswidrigen Verbringen beteiligt ist, wenn einer ihrer Beschäftigten, der nicht ihr gesetzlicher Vertreter ist, im Rahmen seiner Zuständigkeit an diesem Verbringen mitgewirkt hat und
    2. bei am vorschriftwidrigen Verbringen beteiligten juristischen Personen hinsichtlich des subjektiven Tatbestandsmerkmals „obwohl sie wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen” auf die bei der juristischen Person mit der Sache befassten natürlichen Person abzustellen ist, auch wenn es sich dabei nicht um den gesetzlichen Vertreter der juristischen Person handelt?
  3. Wenn die erste oder die zweite Vorlagefrage bejaht wird:

    Ist Art. 212a ZK so auszulegen, dass bei der Beurteilung, ob im Verhalten des Beteiligten betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit liegt, bei juristischen Personen ausschließlich auf das Verhalten der juristischen Person bzw. ihrer Organe abzustellen ist, oder ist ihr das Verhalten einer bei ihr angestellten und im Rahmen ihrer Aufgaben mit der Sache befassten natürlichen Person zuzurechnen?

II. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Bei der Klägerin handelt es sich um ein in der Schweiz ansässiges Logistikunternehmen, das unter anderem Transporte auf den europäischen Binnengewässern anbietet. In dem der Vorlage zugrunde liegenden Verfahren wendet sich die Klägerin gegen die Festsetzung von Zoll für einen Transformator und für zwei dazu gehörende Rollen.

Am 25. Mai 2010 hatte die Klägerin zwei Transformatoren mit je zwei dazugehörigen Rollen mit entsprechenden Ausfuhranmeldungen mit der MS G aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft in die Schweiz ausgeführt. Noch am selben Tag wurde einer der Transformatoren in Y / Schweiz, mit den zwei dazugehörigen Rollen ausgeladen. Der andere Transformator mit der Seriennummer xxxxx und die dazugehörigen Rollen verblieben zunächst auf dem Schiff. Zwischen 8 und 9 Uhr desselben Tages erfuhr die Klägerin, dass eines ihrer Schiffe, das am nächsten Tag (26. Mai 2010) um 11:00 Uhr in Straßburg eine 301 t schwere Turbine mit Bestimmung Niederlande aufnehmen sollte, einen technischen Defekt hatte und daher für den Transport nicht zur Verfügung stand. Für beide Transporte war der bei der Klägerin angestellte und im Rahmen der mündlichen Verhandlung als Zeuge vernommene L zuständig.

Da nicht sicher war, ob für den Transport ein Ersatzschiff zur Verfügung stehen würde, die Turbine jedoch bereits am 31. Mai 2010 in den Niederlanden auf ein Seeschiff verladen werden sollte, erwog L parallel zur Suche nach einem Ersatzschiff eine Übernahme des Transports durch die MS G. Zu diesem Zweck plante er, den noch nicht entladenen Transformator mit der Seriennummer xxxxx sowie die dazugehörigen Rollen auf der MS G zu belassen, diese nach Straßburg fahren und dort die Turbine aufnehmen zu lassen. Sowohl die Turbine als auch der Transformator sollten danach zurück nach Y / Schweiz in die Schweiz transportiert werden, um den Transformator und die dazugehörigen Rollen dort zu entladen. Anschließend sollte die MS G die Turbine in die Niederlande transportieren.

Im Hinblick auf die zollrechtliche Abwicklung des Vorgangs begab sich L zu der zuständigen schweizerischen Zollbehörde, die erklärt...

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