Leitsatz

1. Wird während eines finanzgerichtlichen Verfahrens über einen Steueranspruch das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerpflichtigen eröffnet und das Klageverfahren dadurch unterbrochen, bewirkt die widerspruchslose Feststellung der Steuerforderung zur Insolvenztabelle zwar die Erledigung des Finanzrechtsstreits in der Hauptsache, beendet aber nicht zugleich die Unterbrechung des finanzgerichtlichen Verfahrens (Aufgabe der in den BFH-Beschlüssen vom 23.6.2008, VIII B 12/08, BFH/NV 2008, 1691; vom 10.11.2010, IV B 11/09, BFH/NV 2011, 649 und IV B 18/09, BFH/NV 2011, 65 vertretenen Auffassung mit Zustimmung der betroffenen Senate).

2. Der Gebührenfiskus kann die im finanzgerichtlichen Verfahren entstandenen Gerichtskosten gem. § 9 Abs. 2 Nr. 4 GKG und § 41 Abs. 1 InsO unabhängig von einer formalen Beendigung des unterbrochenen Klageverfahrens als Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle anmelden.

3. Lädt das FG während der Unterbrechung eines finanzgerichtlichen Verfahrens zur mündlichen Verhandlung, liegt in der Ladung zugleich die (beschwerdefähige) Entscheidung, das unterbrochene Verfahren fortzusetzen.

 

Normenkette

§ 128 FGO, § 240 ZPO, § 9 Abs. 2 Nr. 4 GKG, § 41 Abs. 1, § 178 InsO

 

Sachverhalt

S ist Kläger eines seit 2009 beim FG anhängigen Verfahrens. 2010 wurde das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet und B zum Insolvenzverwalter bestellt. Das FA meldete die Steuerforderungen zur Insolvenztabelle an, die mangels eines Widerspruchs von B zur Insolvenztabelle festgestellt wurden. Daraufhin hat das FA den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, B die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. B hat es abgelehnt, eine verfahrensaufnehmende oder -beendende Erklärung abzugeben. Das FG hat zur mündlichen Verhandlung geladen, um eine Kostenentscheidung treffen und die Gerichtskosten ansetzen zu können. Hiergegen richtet sich die von B erhobene Beschwerde.

 

Entscheidung

Die Beschwerde hatte Erfolg. Der BFH hat B aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen recht gegeben.

 

Hinweis

Die Rechtsprechungsänderung hatte sich bereits im Beschluss vom 17.7.2012 (X S 24/12, BFH/NV 2012, 1638) angedeutet, mit dem der X. Senat die Entscheidung des FG, das unterbrochene Verfahren fortzusetzen, ausgesetzt hatte. Zwischenzeitlich haben die BFH-Senate, die bislang eine andere Auffassung vertreten hatten, der Änderung zugestimmt. Es ist damit von den folgenden Grundsätzen auszugehen:

1. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleibt ein finanzgerichtliches Verfahren so lange unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird (§ 240 Satz 1 ZPO). Gem. § 249 Abs. 2 ZPO sind die während der Verfahrensunterbrechung von einem Beteiligten in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen ohne rechtliche Wirkung. Damit darf auch das FG keine Verfahrenshandlungen vornehmen.

2. Der Umstand, dass weder der Insolvenzverwalter noch einer der Insolvenzgläubiger noch der Schuldner der Feststellung der ursprünglich streitbefangenen Forderungen zur Insolvenztabelle widerspricht, bewirkt im finanzgerichtlichen Verfahren zwar die Erledigung der Hauptsache, führt aber nicht dazu, dass die Unterbrechung des Klageverfahrens endet. Das Insolvenzverfahren "für diese Forderungen" ist nämlich nicht beendet. Diese sind lediglich zur Tabelle festgestellt, d.h. ihr Bestehen ist unstreitig. In welcher Höhe auf diese Forderungen tatsächliche Zahlungen zu leisten sein werden, ist damit aber noch nicht geklärt.

3. Nach Auffassung des X. Senats fordert der Zweck des § 240 ZPO keine Auslegung über seinen Wortlaut hinaus dahingehend, dass die Unterbrechungswirkung mit der Feststellung der Insolvenzforderung zur Tabelle entfällt. Zum einen käme es dann zu einer Gläubigerbenachteiligung, die § 240 ZPO vermeiden will. Der Gebührenfiskus würde durch die Fortsetzung des Verfahrens mit anschließender Kostenentscheidung eine Masseforderung erlangen, die im Verhältnis zu den Forderungen aller anderen Insolvenzgläubiger vorrangig wäre. Bleibt dagegen das Verfahren unterbrochen, hat der Gebührenfiskus die Kostenforderung zur Insolvenztabelle anzumelden und wird wie alle anderen Insolvenzgläubiger behandelt. Zum anderen soll § 240 ZPO dem Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners Rechnung tragen. Dieser Gesichtspunkt besteht aber auch dann bis zur Beendigung des – gesamten – Insolvenzverfahrens fort, wenn die Forderung zur Tabelle festgestellt ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 14.5.2013 – X B 134/12

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