Leitsatz

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Liegt eine "Übertragung" eines Gesamtvermögens i.S.v. Art. 5 Abs. 8 der 6. EG-RL vor, wenn ein Unternehmer den Warenbestand und die Geschäftsausstattung seines Einzelhandelsgeschäfts an einen Erwerber übereignet und ihm das in seinem Eigentum stehende Ladenlokal lediglich vermietet?

2. Kommt es dabei darauf an, ob das Ladenlokal durch einen auf lange Dauer abgeschlossenen Mietvertrag zur Nutzung überlassen wurde oder ob der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit läuft und von beiden Parteien kurzfristig kündbar ist?

 

Normenkette

§ 1 Abs. 1a, § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG 1993, Art. 5 Abs. 1 und 8, Art. 2 Nr. 1, Art. 6 Abs. 5 der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Die Klägerin betrieb in einem in ihrem Eigentum stehenden Ladenlokal ein Einzelhandelsgeschäft mit Sportartikeln. Sie veräußerte im Streitjahr 1996 ihren Warenbestand (400 000 DM) und die Ladeneinrichtung (55 000 DM) an eine GmbH. Das Ladenlokal vermietete sie auf unbestimmte Zeit. Der Vertrag konnte gem. der gesetzlichen Kündigungsfrist von jeder Partei spätestens am dritten Werktag ­eines Kalendervierteljahrs zum Ablauf des folgenden Kalendervierteljahrs gekündigt werden. Die Klägerin behandelte den Vorgang als gem. § 1 Abs. 1a UStG nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen.

Da FA hielt die Veräußerung für steuerpflichtig, da das Grundstück als eine wesentliche Geschäftsgrundlage nicht mitveräußert worden sei.

Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, dass der Mietvertrag der Erwerberin eine dauerhafte Unternehmensfortführung ermöglicht habe (FG Münster, Urteil vom 30.04.2008, 5 K 3601/04 U, Haufe-Index 2015374, EFG 2008, 1413).

 

Entscheidung

Der XI. Senat des BFH hat aus den Gründen, die sich aus den Praxis-Hinweisen ergeben, Zweifel an der Auslegung des Begriffs der "Übertragung des Gesamtvermögens". Er hat deshalb gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV dem EuGH die aus dem Leitsatz ersichtlichen Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

 

Hinweis

1. Nach § 1 Abs. 1a UStG unterliegen die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen nicht der USt. Nach S. 2 der Vorschrift liegt eine Geschäftsveräußerung vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird.

Art. 5 Abs. 8 der 6. RL-EG bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt, so behandeln können, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt. Diese Bestimmung gilt nach Art. 6 Abs. 5 der 6. RL-EG "unter den gleichen Voraussetzungen für Dienstleistungen".

2. Der BFH hat eine Geschäftsveräußerung i.S.d. § 1 Abs. 1a UStG auch dann angenommen, wenn wesentliche Betriebsgrundlagen nicht veräußert und übereignet, aber dem Unternehmer langfristig zur Nutzung überlassen werden und eine dauerhafte Fortführung des Unternehmens durch den Unternehmer gewährleistet ist (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 04.07.2002, V R 10/01, BFH/NV 2002, 1684, BFH/PR 2003, 26).

3. Nach der Rechtsprechung des EuGH erfasst Art. 5 Abs. 8 der 6. RL-EG die Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines selbstständigen Unternehmensteils, die jeweils materielle und gegebenenfalls immaterielle Bestandteile umfassen, die zusammengenommen ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann; er schließt jedoch nicht die bloße Übertragung von Gegenständen wie den Verkauf eines Warenbestands ein (EuGH, Urteil vom 27.11.2003, C-497/01 – Zita Modes –, BFH/NV 2004, Beil. 2, 128; BFH/PR 2004, 73).

4. Die bisherige Rechtsprechung des BFH zur Geschäftsveräußerung, die bei der Zurückbehaltung von wesentlichen Geschäftsgrundstücken durch den Veräußerer danach differenziert, ob diese Betriebsgrundlagen langfristig an den Erwerber vermietet werden oder nicht, wirft die aus dem Leitsatz ersichtlichen Fragen auf.

Es erscheint bereits im Ausgangspunkt nicht zweifelsfrei, ob die Übertragung eines Gesamtvermögens vorliegt, wenn eine wesentliche Grundlage zur Fortführung des Geschäftsbetriebs nur auf schuldrechtlicher Grundlage zur Nutzung überlassen und dem Erwerber daran kein (wirtschaftliches) Eigentum verschafft wird. Auf jeden Fall aber liegt nicht ohne Weiteres auf der Hand, weshalb ein Mietvertrag mit einer bestimmten, langjährigen Dauer zu einer anderen Beurteilung führen soll als ein solcher mit gesetzlicher Kündigungsfrist, wenn aus anderen Umständen abgeleitet werden kann, dass der Erwerber die Absicht hat, das Unternehmen fortzuführen und nicht lediglich abzuwickeln (vgl. zu dem letztgenannten Erfordernis das EuGH-Urteil Zita Modes, Rz. 44).

Nähme man keine Geschäftsveräußerung an, wenn wesentliche Betriebsgrundlagen lediglich vermietet, aber nicht übereignet werden, hätte dies den Vorteil, dass sich die Frage nach der Abgrenzung einer Betriebsverpachtung...

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