Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerrecht. Mehrwertsteuer. Steuerpflichtiger. Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger. Ehegatten, die eine landwirtschaftliche Tätigkeit unter Verwendung von Vermögensgegenständen ausüben, die zum Gesamtgut ihrer ehelichen Gütergemeinschaft gehören. Möglichkeit für diese Ehegatten, als getrennte Mehrwertsteuerpflichtige angesehen zu werden. Entscheidung eines der Ehegatten, auf den Status eines Pauschallandwirts zu verzichten und seine Tätigkeit nach der normalen Mehrwertsteuerregelung besteuern zu lassen. Verlust des Status eines Pauschallandwirts für den anderen Ehegatten

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 9, 296, 295

 

Beteiligte

Dyrektor Izby Skarbowej w L

W.G

Dyrektor Izby Skarbowej w L

 

Verfahrensgang

Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Beschluss vom 22.07.2020; ABl. EU 2021 Nr. C 182/25)

 

Tenor

Die Art. 9, 295 und 296 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass

  • sie der Praxis eines Mitgliedstaats entgegenstehen, wonach Ehegatten, die eine landwirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen desselben Betriebs unter Verwendung von Vermögensgegenständen ausüben, die zum Gesamtgut ihrer ehelichen Gütergemeinschaft gehören, nicht als getrennte Mehrwertsteuerpflichtige angesehen werden können, wenn jeder der Ehegatten eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt;
  • sie dem nicht entgegenstehen, dass in den Fällen, in denen die Ehegatten diese landwirtschaftliche Tätigkeit unter der Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger ausüben, die Entscheidung des einen Ehegatten, seine Tätigkeit nach der normalen Mehrwertsteuerregelung besteuern zu lassen, für den anderen Ehegatten den Verlust seines Status eines Pauschallandwirts nach sich zieht, wenn sich diese Wirkung nach Prüfung der konkreten Situation als erforderlich erweist, um den Gefahren von Missbrauch und Betrug entgegenzuwirken, die nicht durch die Vorlage geeigneter Beweise seitens der Ehegatten beseitigt werden können, oder wenn die Ausübung dieser Tätigkeit durch die Ehegatten, selbständig und jeder im Rahmen der normalen Mehrwertsteuerregelung, keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten im Vergleich zu derjenigen Situation mit sich bringt, in der hinsichtlich der Ehegatten gleichzeitig zwei verschiedene Status bestehen.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 22. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Dezember 2020, in dem Verfahren

W. G.

gegen

Dyrektor Izby Skarbowej w L.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin I. Ziemele sowie der Richter T. von Danwitz und A. Kumin (Berichterstatter),

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von W. G., vertreten durch T. Milek, Doradca podatkowy,
  • des Dyrektor Izby Skarbowej w L., vertreten durch M. Kolaciński,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und M. Siekierzyńska als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 9, 295 und 296 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen W. G. und dem Dyrektor Izby Skarbowej w L. (Direktor der Finanzkammer L., Polen) über die Mehrwertsteuer in Bezug auf bestimmte Monate des Jahres 2011.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.”

Rz. 4

Titel XII („Sonderregelungen”) dieser Richtlinie enthält u. a. ein Kapitel 2 („Gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger”), das die Art. 295 bis 305 der Richtlinie umfasst.

Rz. 5

In Art. 295 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„Für die Zwecke dieses Kapitels gelten folgende Begriffsbestimmungen:

  1. ‚landwirtschaftlicher Erzeuger’ ist ein Steuerpflichtiger, der seine Tätigkeit im Rahmen eines land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betriebs ausübt;
  2. ‚land-, forst- oder fischwirtsch...

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