Entscheidungsstichwort (Thema)

Reihengeschäft, Zuordnung der Warenbewegung, Vertrauensschutz auf Vorsteuerabzug

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ist Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass er auf die zweite von zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen derselben Ware anzuwenden ist, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben.

2. Wenn die zweite Lieferung einer Kette zweier aufeinanderfolgender Lieferungen, die zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben, eine innergemeinschaftliche Lieferung ist, ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes dahin auszulegen, dass der Enderwerber, der zu Unrecht einen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat, die von ihm nur auf der Grundlage der vom Zwischenhändler, der seine Lieferung falsch eingestuft hat, übermittelten Rechnungen an den Lieferanten gezahlte Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abziehen kann.

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 32 Abs. 1; EGRL 112/2006

 

Beteiligte

Kreuzmayr

Kreuzmayr GmbH

Finanzamt Linz

 

Verfahrensgang

Bundesfinanzgericht (Österreich) (Beschluss vom 30.11.2016; ABl. EU 2017, Nr. C 95/4)

 

Tatbestand

„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Steuerrecht ‐ Mehrwertsteuer ‐ Aufeinanderfolgende Lieferungen derselben Gegenstände ‐ Ort der zweiten Lieferung ‐ Unterrichtung des ersten Lieferanten ‐ Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer ‐ Recht auf Vorsteuerabzug ‐ Berechtigtes Vertrauen des Steuerpflichtigen auf das Vorliegen der Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug“

In der Rechtssache C-628/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzgericht (Österreich) mit Entscheidung vom 30. November 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Dezember 2016, in dem Verfahren

Kreuzmayr GmbH

gegen

Finanzamt Linz

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters E. Juhász in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Neunten Kammer, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) und des Richters C. Lycourgos,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ der Kreuzmayr GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt J. Hochleitner,

‐ der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,

‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 32 Abs. 1 und Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kreuzmayr GmbH und dem Finanzamt Linz (Österreich) über das Recht auf Vorsteuerabzug für im Jahr 2008 getätigte Umsätze.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 32 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Wird der Gegenstand vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert, gilt als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet.“

Rz. 4

Art. 138 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der [Europäischen Union] versandt oder befördert werden, von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderem Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.“

Rz. 5

Art. 167 der Richtlinie sieht vor:

„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“

Rz. 6

Art. 168 Buchst. a der Richtlinie bestimmt:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden“.

Österreichisches Recht

Rz. 7

§ 3 Abs. 7 des Umsatzsteuergesetzes 1994 (UStG 1994) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung bestimmt:

„Eine Lieferung wird dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet.“

Rz. 8

§ 3 Abs. 8 Satz 1 UStG 1994 lautet:

„Wird der Gegenstand der Lieferung durch den L...

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