Leitsatz

1. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG setzt bei Leistungen im Rahmen eines Zweckbetriebs voraus, dass auch die Voraussetzungen des Satzes 3 dieser Vorschrift vorliegen.

2. Der Änderung des Anhangs III Nr. 15 der MwStSystRL durch die Richtlinie (EU) 2022/542 vom 05.04.2022 (ABlEU Nr. L 107, Seite 1) kommt – als unionsrechtliche Grundlage des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG – keine Rückwirkung auf Umsätze vor ihrem Inkrafttreten zu.

 

Normenkette

§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG, § 52, § 53, § 64, § 65, § 66 AO, Art. 98 Abs. 1 und 2, Anhang III Nr. 15 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 1 Nr. 23, Anhang Nr. 8 RL (EU) 2022/542

 

Sachverhalt

Der Kläger transportierte Blut- und Gewebeproben von Arztpraxen oder Krankenhäusern zu Laboren. Die hierfür verwendeten Fahrzeuge waren dabei teilweise mit blauem Rundumlicht und Martinshorn ausgerüstet. Vertragsbeziehungen bestanden lediglich zwischen dem Kläger sowie den Krankenhäusern, Ärzten und Laboren, nicht aber zu den Patientinnen und Patienten, deren Proben transportiert wurden. Das FA versagte die Steuersatzermäßigung, die demgegenüber vom FG ohne Prüfung von § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG bejaht wurde (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 28.6.2022, 4 K 96/19, Haufe-Index 15292148, EFG 2022, 1504).

 

Entscheidung

Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies die Sache an das FG zurück.

 

Hinweis

1. Die Steuersatzermäßigung für Gemeinnützigkeit nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG beschäftigt den BFH immer wieder. Einzelne Fragestellungen lassen sich dabei einfach beantworten. Bejaht die Vorinstanz z.B. den Zweckbetrieb nach § 66 AO (oder nach den §§ 67 bis 68 AO), muss sie zwingend auch § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG prüfen, wie sich bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt. Fehlt es hieran, ist das Urteil des FG wie im Streitfall aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

2. Schwieriger zu beurteilen ist das Verhältnis des Zweckbetriebs nach § 65 AO zu § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG, der diese Art von Zweckbetrieb nicht ausdrücklich anspricht.

a) Der BFH bejaht auch eine Anwendung von § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 1 UStG auf Zweckbetriebe i.S.v. § 65 AO und hält hieran auch im Besprechungsurteil fest.

b) Für die Zukunft ist zu beachten, dass der nationale Gesetzgeber in Art. 25 Nr. 1 des Referentenentwurfs des Wachstumschancengesetzes eine Änderung von § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG beabsichtigt, durch die der Anwendungsbereich der Alternative 1 dieser Vorschrift auf Zweckbetriebe nach den §§ 66 bis 68 AO beschränkt werden soll.

3. Zu betrachten sind auch unionsrechtliche Änderungen.

a) So sieht der mit Wirkung ab dem 6.4.2022 neu gefasste Anhang III Nr. 15 der MwStSystRL vor, dass sich die Steuersatzermäßigung bei Gemeinnützigkeit auf die "Lieferung von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen [erstreckt], die sich für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit wie von den Mitgliedstaaten definiert einsetzen und die von den Mitgliedstaaten als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt werden, soweit sie nicht gemäß den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit sind".

b) Im Besprechungsurteil verneint der BFH eine rückwirkende Anwendung dieser Neuregelung auf vor dem 6.4.2022 ausgeführte Umsätze.

c) Damit bleibt die Frage offen, ob die Neuregelung zu einer unionsrechtlichen Erweiterung der für die Mitgliedstaaten bestehenden Möglichkeit führt, eine Steuersatzermäßigung bei Gemeinnützigkeit zu schaffen.

aa) Art. 25 Nr. 2 des Referentenentwurfs des Wachstumschancengesetzes führt diese unionsrechtliche Neuregelung als Begründung für die Schaffung eines neuen § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 4 UStG an. Danach liegt die erforderliche Selbstverwirklichung steuerbegünstigter Satzungszwecke i.S.v. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 ­Alternative 2 UStG dann vor, "wenn die Leistungsempfänger oder an der Leistungserbringung beteiligte Personen vom steuerbegünstigten Zweck der Einrichtung erfasst werden".

bb) Damit wird die Möglichkeit eröffnet, die Steuersatzermäßigung auf beliebige Umsätze anzuwenden, wenn die Leistung nur z.B. durch eine der in § 68 Nr. 3 AO genannten Einrichtung erbracht wird.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 5.4.2023 – V R 14/22

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge