Leitsatz

1. Die vom Senat entwickelten Leitlinien zur Beurteilung der Angemessenheit der Dauer finanzgerichtlicher Verfahren stehen nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes.

2. Auch wenn objektiv ein Grund besteht, ein Verfahren zum Ruhen zu bringen, die Beteiligten dem Ruhen aber trotz einer entsprechenden Anfrage des FG nicht zustimmen, bleibt das FG zur Verfahrensförderung verpflichtet. In derartigen Fällen kann jedoch bereits die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, eine ausreichende Wiedergutmachung darstellen.

3. Der Anspruch auf Geldentschädigung steht in Fällen subjektiver Klagehäufung jeder an einem Gerichtsverfahren beteiligten Person einzeln zu (Anschluss an die Rechtsprechung des BVerwG). Dies gilt insbesondere für Klagen von Ehegatten gegen Zusammenveranlagungsbescheide.

 

Normenkette

§ 198, § 201 Abs. 4 GVG, § 74, § 155 FGO, § 251 ZPO

 

Sachverhalt

Im Ausgangsverfahren ging es um die Besteuerung einer Zahlung, die die zusammen mit ihrem Ehemann veranlagte Klägerin von ihrem Arbeitgeber anlässlich dessen Übernahme durch ein anderes Unternehmen erhielt. Aufgrund der Schenkungsteuererklärung der Klägerin erließ das dafür zuständige FA zunächst einen Schenkungsteuerbescheid. Dieser wurde jedoch aufgehoben und die gezahlte Steuer erstattet, nachdem das beklagte FA des Ausgangsverfahrens die Leistung als Arbeitslohn besteuerte. Das sich ab Juni 2009 anschließende finanzgerichtliche Verfahren wurde erst im Juni 2013 trotz mehrerer Verzögerungsrügen abgeschlossen (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.6.2013, 4 K 4146/09). Während des Verfahrens hatte es die Klägerin trotz eines beim BFH anhängigen Parallelverfahrens abgelehnt, dem Ruhen des Verfahrens zuzustimmen.

 

Entscheidung

Die Entschädigungsklage war teilweise begründet. Der BFH sah das Verfahren für 19 Monate als verzögert an und gewährte für einen Zeitraum von 6 Monaten jedem Kläger 600 EUR Entschädigung.

 

Hinweis

In diesem Urteil hat der BFH erneut bestätigt, dass er an seinen bisherigen Grundsätzen und der im Ausgangspunkt pauschalierenden Sichtweise (vgl. dazu z.B. BFH, Urteil vom 19.3.2014, X K 8/13, BFHE 244, 521) festhält. Er sieht darin keinen Widerspruch zur Rechtsprechung anderer Bundesgerichte, da auch der BFH der Einzelfallbetrachtung Vorrang vor der aus den typischen drei Phasen des finanzgerichtlichen Verfahrens abgeleiteten Vermutungsregel einräumt.

Das Urteil enthält zwei neue Erkenntnisse für den Bereich der Entschädigungsklagen:

1. Positiv für die Betroffenen ist die Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwG, Urteil vom 27.2.2014, 5 C 1/13 D, Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3), wonach eine Entschädigung an jeden der Kläger zu zahlen ist, da der Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils ein personenbezogener Anspruch ist. Insbesondere bei Entschädigungsklagen wegen der unangemessenen Verfahrensdauer von einkommensteuerlichen Sachverhalten dürfte sich die zuzusprechende Entschädigungssumme bei zusammenveranlagten Klägern verdoppeln.

2. Stimmt in einem ggf. verzögerten Ausgangsverfahren der Kläger dem Ruhen des Verfahrens nicht zu, so führt dies zunächst nicht dazu, dass das FG das Verfahren nicht weiter betreiben müsste. Wäre das FG befugt, ein Verfahren trotz fehlender Zustimmung eines der Beteiligten zum förmlichen Ruhen so lange nicht zu fördern, wie der Ruhensgrund besteht, unterliefe dies die gesetzgeberische Entscheidung, die Verfahrensruhe – anders als die Aussetzung nach § 74 FGO – an die Anträge der Beteiligten zu knüpfen.

Soweit die Beteiligten auf entsprechende Anfrage des FG einem Ruhen des Verfahrens mit Rücksicht auf ein bei dem BFH anhängiges Revisionsverfahren in einer parallelen Angelegenheit zwar nicht zustimmen, wohl aber objektiv ein Grund vorliegt, ein Verfahren zum Ruhen zu bringen und gleichzeitig für die fehlende Zustimmung keine Gründe erkennbar sind, hat dies jedoch eine andere Konsequenz: Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls kann dann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass für die Verfahrensverzögerung in dieser Zeitspanne keine Entschädigung in Geld zu gewähren ist, dass vielmehr nach § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ausreichend ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 4.6.2014 – X K 12/13

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